(Foto von Daniel Lobo.) |
Stiglitz spricht sehr deutlich aus, worüber vor allem in Deutschland immer noch viel zu viel gewollte Unklarheit herrscht: Wenn IMF damals, und Europäische Kommission heute, eine harte, deflationäre Sparpolitik verordnen, dienen sie unmittelbar den Interessen der Finanzmärkte, also dem Spekulationskapital, eine wirtschaftliche Erholung befördern sie damit nicht. Um Banken vor (selbst verantworteten) Verlusten zu bewahren und die Vermögen nach dem Platzen einer Investitionsblase zu schützen, müssen ganze Staaten in die Verantwortung genommen werden. Und damit sich gegen diese Ungerechtigkeit niemand wehrt, flankiert den Verweis auf die Alternativlosigkeit ein moralisches Theater, das die Schuld vor allem bei der Bevölkerung sucht, die wieder einmal angeblich zu schwach, zu dekadent und undiszipliniert gewesen sei, um die "Märkte" zufrieden zu stellen.
Selbst das Argument, dass man die Banken nach der Finanzkrise unbedingt habe schützen müssen, um ihre Stabilität nicht zu gefährden und einen totalen Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern, ist ja eigentlich keines: Wie Stiglitz in seinem Buch zeigt, welches ja schon Jahre vor der letzten Finankrise erschien, wurde in der Vergangenheit auch in kleineren Krisen, die die Stabilität des Systems nicht gefährdeten, nicht anders gehandelt. Vor allem die Asienkrise, Ende der 90er Jahre, zeigt deutlich, dass schon immer nur einer gewinnen konnte, wenn es den Reichtum (des Westens) zu schützen galt. Die vom IMF verordnete Kur habe derart desaströse Auswirkungen gehabt, dass es für viele Asiaten so wirken musste, als seien ihre Wirtschaften bewusst von den Finanzmärkten und ihren Handlangern im amerikanischen Finanzministerium zerstört worden:
But in Asia other theories abound, including a conspiracy theory that I do not share which views the policies either as a deliberate attempt to weaken East Asia - the region of the world that ahd shown the greatest growth over the previous forty years - or at least to enhance the incomes of those on Wall Street and the other money centers. One can understand how this line of thinking developed: The IMF first told countries in Asia to open up their markets to hot short-term capital. The countries did it and money flooded in, but just as suddenly flowed out. The IMF then said interest rates hsould be raised and there should be a fiscal contraction, and a deep recession was induced.As asset prices plummeted, the IMF urged affected countries to sell their assets even at bargain basement prices. It said the companies needed solid foreign management (conveniently ignoring that these companies had a most enviable record of growth over the preceding decades, hard to reconcile with bad management) and that this would only happen if the companies were sold to foreigners - not just managed by them. The sales were handled by the same foreign financial institutions that had pulled out their capital, precipitating the crisis. These banks then got large comissions from their work selling the troubled companies or splitting them up, just as they had got large commissions when they had originally guided the money into the countries in the first place. As the events unfolded, cynicism grew even greater: some of these American and other financial companies didn't do much restructuring; they just held the assets until the economy recovered, making profits from buying at the fire sale prices and selling at more normal prices.
I believe that there is a simpler set of explanations - the IMF was not participating in a conspiracy, but it was reflecting the interests and ideology of the Western financial community. Modes of operation which were secretive insulated the institution and its policies from the kind of intensive scrutiny that might have forced it to use models and adopt policies that were appropriate to the situation in East Asia.
Wie gesagt, es ist ein empfehlenswertes Buch und ich freue mich auch schon auf Stiglitz' bald erscheinendes Buch über die Eurokrise. Aber interessant ist es auch vor allem wegen der Aspekte, die in Stigliz' Analyse fehlen. Jemand hat mal gesagt, die Wirtschaftsberichterstattung des linksliberalen amerikanischen Radiosenders NPR sei wie eine Reportage über die Opfer eines Serienmörders, ohne dass jemals ein Serienmörder erwähnt wird. Ein wenig ähnlich ist es mit Stigliz, wenn er argumentiert, eine gerechtere, vernünftigere Wirtschaftspolitik allein könne schon einen gerechten und vernünftigen Kapitalismus schaffen, einen Kapitalismus, der allen nützt, alle bereichert, und irgendwie sogar noch die Umwelt schont.
Ich will jetzt nicht in Abrede stellen, dass so eine Reform des Kapitalismus grundsätzlich möglich ist. Wer weiß, vielleicht kann man tatsächlich irgendwie auch global solche Verhältnisse herstellen wie in Schweden in den 80ern, vielleicht sind die Hindernisse dagegen tatsächlich rein politisch, anstatt schon in der Funktionsweise des Kapitalismus angelegt. In dieser Frage habe ich zwar stetig wachsende Zweifel, aber zumindest als Interimslösung der aktuellen Krise ist der Kurs, den Stiglitz vertritt, sicher der vernünftigste.
Aber auch die politischen Hindernisse unterschätzt Stigliz radikal. Selbst so eine Renaissance des sozialdemokratischen Modells, wie er sie anstrebt, wird sich ohne eine politische Umwälzung nicht einstellen, da können die Linkskeynesianer noch so sehr die besseren Argumente auf ihrer Seite haben. Stiglitz unterstützt zwar politische Bewegungen in ganz Europa, aber man spürt dennoch sein tiefes Urvertrauen in die Fähigkeit der politischen Eliten, nach offener und sachlicher Diskussion Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls treffen zu können, quasi im Geiste eines progressiven Technokratentums. (Wie es einem ehemaligen Vize-Präsidenten der Weltbank gebührt.)
Manchmal ist das fast komisch, etwa als Stiglitz behauptet, Clinton habe deshalb seinem Finanzministerium in dessen katastrophalen Russlandpolitik freie Hand gelassen, weil man ihm wichtige Informationen vorenthielt: "I believe that if Clinton had been confronted with the arguments, he would have adopted a more balanced approach. He would have been more sensitive to the concerns of the poor, and more aware of the importance of political processes than the people at Treasury." Das hat was von: Wenn das nur der Führer wüsste!
Stiglitz sagt immer wieder, Ungleichheit und Ausbeutung seien Folgen falscher politischer Rahmenwerke, stellen also eine Pervertierung des Kapitalismus dar, die sich mit einer politischen Kurskorrektur beheben lasse. Selbst wenn er mit dieser Einschätzung richtig läge, das was heute zu dieser Kurskorrektur fehlt, was also wirklich nötig wäre, kann uns ein Stigliz allein leider nicht geben (und auch kein Piketty, und ein Varoufakis schon gar nicht...). Um das berühmte Stalinwort mal abzuwandeln: Wieviele Divisionen hat Joseph Stiglitz? Wieso ist er nur ein "Kritiker", der selbst als Berater Clintons keinen Einfluss hatte, während die Apologeten des Neoliberalismus selbst nach der Finanzkrise an den Schalthebeln der Macht sitzen? Und was wäre wirklich nötig, um demokratische Herrschaft über die Wirtschaftspolitik zurück zu gewinnen?
(Nebenbei: Um einen Eindruck davon zu gewinnen, welche Art von Person in den letzten Jahren geradezu unverrückbar die Kommandohöhen der Weltwirtschaft bevölkerte, kann ich nur diese etwas längere, aber geniale Rezension von Timothy Geithners neuem Buch empfehlen. Geithner war der erste Finanzminister in der Obamaregierung, also der wichtigste Architekt der Bankenrettungspolitik. Unbedingt den Artikel lesen.)
Ich will jetzt nicht in Abrede stellen, dass so eine Reform des Kapitalismus grundsätzlich möglich ist. Wer weiß, vielleicht kann man tatsächlich irgendwie auch global solche Verhältnisse herstellen wie in Schweden in den 80ern, vielleicht sind die Hindernisse dagegen tatsächlich rein politisch, anstatt schon in der Funktionsweise des Kapitalismus angelegt. In dieser Frage habe ich zwar stetig wachsende Zweifel, aber zumindest als Interimslösung der aktuellen Krise ist der Kurs, den Stiglitz vertritt, sicher der vernünftigste.
Aber auch die politischen Hindernisse unterschätzt Stigliz radikal. Selbst so eine Renaissance des sozialdemokratischen Modells, wie er sie anstrebt, wird sich ohne eine politische Umwälzung nicht einstellen, da können die Linkskeynesianer noch so sehr die besseren Argumente auf ihrer Seite haben. Stiglitz unterstützt zwar politische Bewegungen in ganz Europa, aber man spürt dennoch sein tiefes Urvertrauen in die Fähigkeit der politischen Eliten, nach offener und sachlicher Diskussion Entscheidungen im Sinne des Gemeinwohls treffen zu können, quasi im Geiste eines progressiven Technokratentums. (Wie es einem ehemaligen Vize-Präsidenten der Weltbank gebührt.)
Manchmal ist das fast komisch, etwa als Stiglitz behauptet, Clinton habe deshalb seinem Finanzministerium in dessen katastrophalen Russlandpolitik freie Hand gelassen, weil man ihm wichtige Informationen vorenthielt: "I believe that if Clinton had been confronted with the arguments, he would have adopted a more balanced approach. He would have been more sensitive to the concerns of the poor, and more aware of the importance of political processes than the people at Treasury." Das hat was von: Wenn das nur der Führer wüsste!
Stiglitz sagt immer wieder, Ungleichheit und Ausbeutung seien Folgen falscher politischer Rahmenwerke, stellen also eine Pervertierung des Kapitalismus dar, die sich mit einer politischen Kurskorrektur beheben lasse. Selbst wenn er mit dieser Einschätzung richtig läge, das was heute zu dieser Kurskorrektur fehlt, was also wirklich nötig wäre, kann uns ein Stigliz allein leider nicht geben (und auch kein Piketty, und ein Varoufakis schon gar nicht...). Um das berühmte Stalinwort mal abzuwandeln: Wieviele Divisionen hat Joseph Stiglitz? Wieso ist er nur ein "Kritiker", der selbst als Berater Clintons keinen Einfluss hatte, während die Apologeten des Neoliberalismus selbst nach der Finanzkrise an den Schalthebeln der Macht sitzen? Und was wäre wirklich nötig, um demokratische Herrschaft über die Wirtschaftspolitik zurück zu gewinnen?
(Nebenbei: Um einen Eindruck davon zu gewinnen, welche Art von Person in den letzten Jahren geradezu unverrückbar die Kommandohöhen der Weltwirtschaft bevölkerte, kann ich nur diese etwas längere, aber geniale Rezension von Timothy Geithners neuem Buch empfehlen. Geithner war der erste Finanzminister in der Obamaregierung, also der wichtigste Architekt der Bankenrettungspolitik. Unbedingt den Artikel lesen.)
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