Communism

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Montag, 29. Februar 2016

Eine Zensur findet nicht statt


Ich arbeite gerade an einem neuen Text über die Neue Rechte, bin aber zu sehr mit anderen Sachen beschäftigt, weshalb es damit noch etwas dauern wird. Ich möchte jetzt nur kurz eine aktuelle Angelegenheit kommentieren. 

Von Seiten der Antifa wird immer wieder, und scheinbar sehr erfolgreich, versucht, Veranstaltungen der "Neuen Rechten" zu verhindern. Wie es auch bei rechtsextremen Gruppen wie etwa der NPD üblich ist, wird dann beispielsweise Druck auf Veranstalter, etc. ausgeübt, damit diese ihre Räumlichkeiten den Rechten nicht zur Verfügung stellen. Oft weichen diese deshalb auf Häuser von Burschenschaften aus, wobei selbst dort nur noch sehr wenige bereit sind, sich auf diese Weise mit den Zielen der Rechten zu identifizieren. 

Es ist - ganz objektiv betrachtet - eine sehr effektive politische Strategie: Gewisse Ansichten werden so daran gehindert, als "normal", "bürgerlich", oder legitim in Erscheinung zu treten. Es umgibt sie dadurch immer der Nimbus des Radikalen, staats- oder menschenfeindlichen, der eine breitere Wirkung unmöglich macht. Vor allem etablierte Personen, die solchen extremeren Positionen mit ihrem Namen Legitimation verleihen könnten, scheuen in der Konsequenz davor zurück, mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden. Oft geht es der Antifa dementsprechend auch bloß um Aufklärung und Protest, was ja völlig normale Mittel der politischen Arbeit sind. Und sehr oft ist das Gejaule der Rechten über "politisch korrekte" Zensur auch einfach nur heuchlerisch.

Jetzt meldet die Zeitschrift "Sezession" allerdings, dass ihr aus "politischen Gründen" das Steuerbüro und die Bank gekündigt habe: 
Wer ein bißchen aufmerksamer liest und las, weiß längst, daß wir nicht deshalb keine Veranstaltungsräume mehr finden in Berlin und in anderen größeren Städten, weil uns die Wirte nicht vermieten wollten: Sie ziehen ihre Zusagen zurück, weil ihnen die Verwüstung ihres Lokals oder wenigstens eine Denunziationswelle droht, und natürlich finden das die ganzen Zeilenhuren und Sekundärpublizisten, die ihre Existenz unserer Originalität verdanken, gar nicht bedenkenswert, sondern schon in Ordnung so. Ist ja ein freies Land, kann ja jeder Wirt selbst entscheiden, wem er ein Plätzchen gewährt.

Diesmal schneidet es aber tiefer ein: Uns ist aus politischen Gründen das Steuerbüro abhanden gekommen, und der Sezession das Konto wieder (aber keine Sorge: Überweisungen kommen schon noch an, wir haben eine Frist, und mein Verlag ist nicht betroffen!).
Vor zwei Jahren schon hatte Amazon einige Bücher des Antaios-Verlages (der an die "Sezession" angeschlossen ist) aus dem Sortiment genommen, hatte sie also nicht mehr für den Verlag vertrieben. Da Amazon im Buchhandel quasi über ein Monopol verfügt, war das für den kleinen Verlag keine Trivialität, und auch hier hatte es scheinbar Druck auf Amazon gegeben. Die FAZ berichtete als einzige Mainstream-Zeitung darüber. 

Ich bin nicht neutral in dieser Frage. In der Sache stehe ich bei der Antifa, wenn ich auch keineswegs ein Aktivist bin oder sein will. Ich habe auch kein Problem mit aggressiven politischen Manövern, die sich am Rande der Legalität bewegen - der Tortenwurf gegen Beatrix von Storch zum Beispiel war vielleicht nicht die klügste Aktion, aber prinzipiell ist so etwas in Ordnung. Auch ist die "Sezession" seit spätestens einem Jahr immer mehr aktivistisch in Erscheinung getreten, und muss also damit rechnen, dass andere Maßstäbe angelegt werden als an ein intellektuelles Nischenmagazin. 

Ich bin außerdem der Ansicht, dass einige Ansichten tatsächlich keinen Platz in der Öffentlichkeit haben dürfen, und dass man diese Festlegung im Zweifelsfall nicht dem Staat und den Gesetzen überlassen darf, sondern politisch erkämpfen muss. Auch wenn man dabei das Akzeptable vom Inakzeptablem, etwa was Antisemitismus oder Rassissmus betrifft, durchaus nach objektiven Kriterien unterscheiden kann, sollte man nicht leugnen, dass Entscheidungen solcher Art immer eine politische Stoßrichtung haben. Diese Selbstkontrolle der Öffentlichkeit ist eine Gradwanderung, aber eine notwendige. 

Mich stoßen aber solche Zensuraktionen gegen politische Gegner, so es nicht wirkliche Verbrecher sind, doch eher ab. Das ist einmal Geschmackssache, denn es wirkt eben doch irgendwie feige und denunziatorisch. Auch verbirgt sich dahinter eine Denkweise, die auch in politisch weniger entscheidenden Fragen zum rigiden Moralismus, und schließlich zu einem langweiligen Konformismus führen kann. Ich bin sehr dafür, Menschen in aller Härte und in aller Öffentlichkeit anzugehen, wenn man denkt, sie haben das verdient. Aber hinter den Kulissen zu arbeiten, um ihnen die Möglichkeiten zur Arbeit zu nehmen ist ja kein politischer Angriff, sondern ein Vernichtungsversuch, eine kalkulierte Gemeinheit, die überhaupt keine öffentliche Wirkung hat und niemanden überzeugen wird. Es geht weniger um Politik als um einen Richtspruch. Und wer braucht sowas?

Ohne einen hysterischen Vergleich a la "Meinungsdiktatur EUSSR" ziehen zu wollen, erinnert mich das auch an die McCarthy-Ära. Aber in einem sehr präzisen Sinn:

Im allgemeinen haben wir die Vorstellung, politische Verfolgung und Zensur gehe immer von einem Staat aus, der die Grenzen der liberalen Ordnung übertritt und die Freiheitsrechte seiner Bürger verletzt, und so erinnern wir uns auch an die Kommunistenhatz unter Senator McCarthy: Die paranoide Hysterie in der amerikanischen Gesellschaft erlaubte es der Regierung, für einige Jahre mit freier Hand Menschen für ihre politischen Überzeugungen zu verfolgen. 

Viele liberale Ideologen nennen deshalb auch den McCarthyismus als Paradebeispiel für einen außer Kontrolle geratenen Staat. Sie argumentieren, dass allein die Freiheit des Marktes noch die Freiheit der zu Unrecht verfolgten garantiert habe. Während die Regierung in ihren eigenen Reihen Säuberungsaktionen durchführen konnte, habe die freie Wirtschaft zumindest Zuflucht geboten und so garantiert, dass keine Existenzen zerstört wurden. Ausgerechnet die pro-kapitalistischen Säuberungen hätten dank des Marktes die politische Freiheit nicht gefährden können - so argumentierte etwa Milton Friedman in seinem 1962 erscheindenen Buch "Capitalism and Freedom". Er schrieb weiter:
One may believe, as I do, that communism would destroy all of our freedoms, one may be opposed to it as firmly and as strongly as possible, and yet, at the same time, also believe that in a free society it is intolerable for a man to be prevented from making voluntary arrangements with others that are mutually attractive because he believes in or is trying to promote communism. His freedom includes his freedom to promote communism. Freedom also, of course, includes the freedom of others not to deal with him under those circumstances.
Das ist allerdings, wie immer bei Libertären, auf gefährliche Weise zu kurz gedacht.

In Wahrheit war der Agent des McCarythismus nämlich nicht primär der Staat, es waren private Unternehmen selbst, die oft aus eigener Initiative, ohne dass man Druck gegen sie ausüben musste, ihre Angestellten auf eine Weise einer Säuberung unterzogen, wie es die Regierung niemals gekonnt hätte. Es war eine zivil organisierte konformistische Hexenjagd. Corey Robin nennt die Zahlen: 
We all remember the McCarthy hearings in the Senate, the Rosenbergs, HUAC, and so on. All of these incidents involve the state. But guess how many people ever went to prison for their political beliefs during the McCarthy era? Less than 200 people. In the grand scheme of things, not a lot. Guess how many workers were investigated or subjected to surveillance for their beliefs?  One to two out of every five. And while we don’t have exact statistics on how many of those workers were fired, it was somewhere between 10 and 15 thousand.
Die meisten Unterdrückungsmaßnahmen wurden also von Chefs gegenüber ihren Angestellten ausgeübt. Im liberalen System ist allerdings die Macht, die ein Unternehmer über seine Angestellten, oder ein Quasi-Monopolist wie Amazon über seine "Kunden", ausüben kann, verschleiert. Wir hängen stattdessen der Fiktion an, unsere Wirtschschaftsordnung basiere auf Verträgen und Tauschakten, also der freiwilligen Kooperation gleichgestellter Individuuen. Zensur und Unterdrückung, die nicht vom Staat ausgeht, sondern von (konzentrierter) privater Macht, ist für uns unsichtbar.

Die ironische Pointe ist daher, dass nur ein linker Etatismus, der die Rechte von Angestellten und Kunden stärkt und sie den privaten Tyrannen, die über ihr Leben bestimmen, nicht schutzlos ausliefert, kombiniert mit einem echten wirtschaftlicher Pluralismus, verlässlich die Meinungsfreiheit garantieren kann. Die größte Gefahr für unsere Öffentlichkeit besteht in der stillen Furcht derer, die um ihren Job bangen, oder um ihre Aufträge. Kurz: um ihre Karriere. Eine solche Furcht, man könne sich durch bestimmte Positionen unmöglich machen, oder auch einfach nur ignoriert werden weil man nicht so liefert, wie es erwartet wird (was ja für Journalisten und Autoren schon den Tod bedeutet), darf man natürlich in der Regel nicht öffentlich eingestehen, aber sie bildet quasi das Hintergrundrauschen einer Öffentlichkeit in der alle professionellen Stimmen ohne Ausnahme abhängige Angestellte sind.

(Das ist übrigens auch der Grund, warum ich in der Beschreibung dieses Blogs so mit meiner künftigen Arbeitslosigkeit kokettiere. Ich habe keine ernsten Sorgen in der Richtung, aber die Notwendigkeit, auf einen Job hinzuarbeiten, übt einen gewaltigen Einfluss auf jeden aus, der irgendwann von seinen Worten und seinem Namen leben möchte. Das ist nicht zwingend verhängnisvoll, aber schlecht und lästig ist es doch, und man sollte damit so bewusst und offen umgehen wie möglich.)

Nebenbei gesagt, gibt es noch einen Grund, sich mit der amerikanischen Paranoia aus den 50ern zu beschäftigen: Viele der damals geäußerten quasi-antisemitischen Verschwörungstheorien über eine finstere Unterwanderung der Regierung ähneln auf erstaunliche Weise dem, was man heute von den wirreren "Asylgegnern" manchmal hören kann. Die Parrallelen sind wirklich frappierend. Hier ist zum Beispiel ein interessantes Interview mit einer Frau, die in der faschistischen John Birch Society aufwuchs.

Donnerstag, 25. Februar 2016

Feeling the Hate in Zwickau

Eines muss man Rechten lassen: Sie sind nicht bequem. Letzten Samstag stand ich mit über 3000 Demonstranten im eisigen Regen auf dem historischen Marktplatz von Zwickau, während uns von der Bühne stundenlang auf ermüdendste Weise die Hetze entgegenschallte. Zumindest einige in der Menge müssen sich gemeinsam mit mir heimlich gefragt haben: "Was zur Hölle machst du eigentlich hier? Hast du wirklich nichts besseres zu tun?" Aber für die Sache müssen auch Opfer gebracht werden, und so bissen wir die Zähne zusammen und hielten aus. 

Wie die meisten war ich gekommen, um Jürgen Elsässer sprechen zu hören, aber besonders beeindruckt hat mich Ulrich Pätzold, ein NPD-Kader aus dem Erzgebirge, der den richtigen Bierhallen-Sound von 1922 brachte. Immer daran denken: Das Publikum waren einige Tausend recht normal aussehende Wutbürger aus Westsachsen, ältere Ehepaare neben Halbstarken in Jogginghose und Picaldi-Pulli, Mitglieder eines "Bürgerforums" mit Friedenstauben am Revers neben Leuten von der "Heimatschutzbrigade Plauen". Und das identitäre Lambda neben der Reichsflagge.

Auch aus Bautzen, wo noch am selben Abend ein noch leerstehendes Flüchtlingsheim angezündet wurde, war eine Delegation angereist.

Bei dieser Stimme läuft es mir eiskalt den Rücken runter:


Einige ausgewählte Zitate: 

"Damit diese Bonzen Nachts vom Metzger träumen, und damit meine ich uns natürlich, das deutsche Volk, sind wir heute zusammen gekommen!"

"Wir wollen in unserem Land 70 Jahre nach Kriegsende endlich wieder selbst bestimmen können!"

"Globalistenfront verrecke!"

"Die Medienmeute."
"Presseschmierer."
"Antideutsches Pack."
"Politdarsteller", "Bonzen", "charakterschwache Nullen", "Kinderschänder", "berufslose Versager", kriechen der amerikanischen Nomenklatur hinterher, Kriminelle. 

"Wir sind rechtschaffen. Wir tragen das Herz am rechten Fleck. Wir spüren noch etwas bei dem Wort Heimat, Vaterland, Muttersprache."

"Wenn einer die Sozialreformen von Friedrich Engels gut findet, und ein anderer die Leistungen der Wehrmacht, gut da kann man drüber streiten, aber das ist Geschichte, und heute, heute ist unser Volk in seinem Leben bedroht, unsere ganze Tradition ist bedroht..."

"Es geht um unsere Freiheit... Freiheit hängt unmittelbar mit Macht zusammen. Wer nicht frei ist, unterliegt immer einer fremden Macht. Durch die Asylanten erkennen die Deutschen endlich, dass sie im eigenen Land eigentlich gar nichts zu sagen haben."

"Der Plan, Völker durch Vermischung zu zerstören ist ja nicht alt [oder "recht alt"?], wie wir alle wissen. Es gab den zweiten Weltkrieg. Aber der russische Abgeordnete der Duma Dimitri Fjodorow [?] sagte vor kurzem: "Uns ist klar, dass die Migration nach Europa von den USA initiiert worden ist, um die nationalen Staaten zu zerstören. Wenn die europäischen Staaten ihre nationalen Identitäten verlieren, können sie sich niemals mehr als Einzelnationen gegen Washington auflehnen." Die bevölkerungsmäßige Zerstörung und die Plünderung unserer Heimat ist nur ein geostrategisches Ziel dieser Verbrecher von Wall Street und Londoner City. Und nach 70 Jahren Gehirnwäsche im Westen und 25 Jahren Verarsche hier in Mitteldeutschland glauben diese Verbrecher, es sei Zeit um diese alten Pläne umzusetzen. Aber zum Glück regt sich der Widerstand. Und das wird nicht funktionieren. [Menge schreit: Widerstand! Widerstand!] Die deutschen Menschen werden jetzt durch diese flutartigen Ereignisse gezwungen werden, endlich einen Standpunkt zu beziehen. Die feige Beobachterposition vom Wohnzimmersessel und das Diskutieren über die Dinge ist vorbei. Jetzt geht es darum ob wir ein freies deutsches Land halten wollen."

"Wenn die Politiker in der Zukunft weiterhin glauben, immer nach Weisungen der amerikanischen Strippenzieher entscheiden zu müssen, wird sich der Volkszorn eben massiv entladen. Werden Sie also alle zu Wutbürgern! Denken sie immer an die wahren Schuldigen!"

"Wir haben noch eine demokratische Chance. Ich hoffe, dass wir sie auch ergreifen können, weil was sonst kommt, ist wirklich entladener Volkszorn und der ist wirklich unberechenbar."

Was ich also an diesem Samstag gelernt habe: Faschismus wärmt scheinbar von innen. Das wohlige, angenehme Gefühl, das einen erfüllt, wenn man in der deutschen Menge steht und seinen Aggressionen freien Lauf lassen kann, lässt einen Regen und Kälte offenbar einfach vergessen. Ich hatte, linksversifft wie ich bin, diesen Vorteil leider nicht. Mir war nicht nur irgendwann sterbenslangweilig, ich bin auch gleich krank geworden. Aber es musste eben sein!

Montag, 22. Februar 2016

Widerstand damals und heute


Ab Minute 54, besonders 54:40.

Die Generation Pegida, also der durchschnittliche Demonstrant, ist männlich und 48 Jahre alt. Er wurde also gerade erwachsen, als die Mauer fiel, und musste sich in der neuen Welt ein Leben aufbauen. Er ist nicht in den Westen emigriert, sondern geblieben. Er ist meist gebildet und er ist nicht arm. Aber er hatte es nicht leicht. Selbst wenn es ihm trotz der Arbeitslosigkeit und dem Ausverkauf der 90er gelungen ist, beruflich erfolgreich zu sein, dann doch unter schwierigen, oft entmutigenden Bedingungen. Es gab Rückschläge, Demütigungen, vor allem aber, jetzt im mittleren Alter, das nagende Gefühl, es nicht wirklich geschafft zu haben, irgendwie doch hinter seinen Möglichkeiten zurück geblieben zu sein. Vielleicht sogar die stille und wütende Ahnung, dass man um etwas betrogen wurde. Vorwürfe und Hass. Ja, gut, es ist vielleicht nicht schlecht, aber es ist nicht das, was man sich einmal erhofft hatte. Was man vielleicht glaubt, verdient zu haben. Aber geschenkt kriegt niemand was, das hat man gelernt.

Und jetzt also hat einen die Regierung endgültig verraten. 


Pegida ist Faschismus für verbitterte Männer im mittleren Alter.

Samstag, 20. Februar 2016

Lauter schöne Seelen

Grenzen abschaffen und laufen lassen“, unter diesem Titel fantasiert die europapolitische Think-Tankerin Ulrike Guérot in der Taz von einer Welt ohne Grenzen. Man weiß nicht, wie man mit ihrem Artikel umgehen soll – fast wirkt er wie Satire, so als habe ein Rechter sein Bestes getan, um eine weltfremde „No Border“-Träumerei zu karikieren. Aber er ist tatsächlich ein perfektes Beispiel für den tragischen Unernst, den gerade viele Progressive in der Flüchtlingsdebatte oft an den Tag legen: „Utopien formulieren und denken-sein-lassen“, so könnte man es beschreiben.

Der Nationalstaast sei obsolet, das ist Guérots Ausgangspunkt. „Jeder Mensch muss [...] in Zukunft das Recht haben, nationale Grenzen zu durchwandern und sich dort niederlassen können, wo er will“, das findet sie, denn das sei nicht nur praktisch, sondern auch gerecht. Ebenso wie viele Radikallibertäre glaubt sie dabei, dass ein Zerfall des Nationalstaates gesunderweise zur ethnischen Segregation führen würde. Aber anstatt das zu beklagen, preist sie es als Weg zu einer auf Toleranz und dem Respekt für „Otherness“ basierenden, friedlichen Weltgemeinschaft und als Alternative zum unangenehmen Integrationszwang. Es gehe doch ganz einfach: „Wir stressen uns nicht mit Integration.“

Man hat das Gefühl einem weltfremden, jeder Substanz beraubten Liberalismus gegenüberzustehen, der bis zur letzten, absurden Konsequenz getrieben wurde: Hält sich der Staat zurück, so die Prämisse, und lässt alle einfach ihr eigenes Ding machen, ergibt sich von allein die wuselnde, bunte, harmonische Weltrepublik - „ein kreatives Netz von Vielfalt.“ Das hat mit der wirklichen Welt sehr wenig zu tun, viel aber mit der Lebenswelt eines europäischen Großstadt-Yuppies, für den fremde Kulturen und fremde Menschen vor allem eines bedeuten: mehr Abwechslung bei den Restaurants. So stellt sich Guérot tatsächlich die Verschmelzung der Kulturen im Europa ohne Grenzen vor, wie eine Art Gentrifizierungskampagne, die Eroberung Neuköllns durch die Hipster: „Die Bewohner der alteingesessenen Städte werden neugierig. Die Neuankömmlinge haben anderes, interessantes Essen, das eine oder andere unbekannte Gewürz. Künstler kommen, um zu schauen, zu malen und zu dichten. Es entstehen hippe Cafés. Studenten, die billigen Wohnraum suchen, werden ihre WGs in Neu-Damaskus einrichten.“ Und dann: Völkerfreundschaft. 

Das ist alles so trostlos provinziell, so völlig ignorant gegenüber den Lebenswirklichkeiten auch der Flüchtlinge, für die Guérot ja eine Lanze zu brechen meint, dass man es kaum glauben kann. Geradezu sprachlos macht etwa ihre Verherrlichung von Flüchtlingscamps als herzerwärmende Erfolgsstory: 
„Stadtplaner, die sich mit Flüchtlingscamps beschäftigen und diese erforscht haben, berichten, dass aus Flüchtlingscamps nach kurzer Zeit Städte werden, wenn man die Flüchtlinge nur allein lässt. Der Städtebau scheint in der Natur des Menschen zu liegen. Im Libanon wurden in den Millionencamps schon nach wenigen Wochen die sorgfältig rechteckig aufgestellten UNHCR-Container umgestellt und zurechtgerückt. Es entstanden große Verkehrsachsen und kleine Nebenstraßen – die Hauptstraße in einem libanesischen Flüchtlingscamp zum Beispiel wurde Champs Elysée getauft. Aus dem Nichts entstand Handel, entstanden kleine Boutiquen, wurde Schrottmaterial von gewieften Tüftlern und Bastlern zu Mopeds umgebaut; auf einmal gab es kleine Theater oder Tanzfeste. Es dauert, so sagen Experten, keine sechs Monate, dann wird aus einem Flüchtlingscamp eine Stadt.“
Ja, und wenn man dann noch sechs Monate wartet, dann ist es ein Ghetto. Und dann ein Slum. Und schließlich, nach fünfzig Jahren Freiheit von staatlicher Bevormundung... ist es immer noch ein Slum. Aber sicher schön „bunt“ und mit schönen „kleinen Boutiquen“ und so nett und kreativ wie die Urban Gardening-Parzellen auf dem Tempelhofer Feld.

Das ist ein narzistischer Diskurs der schönen Seelen. Eine Diskussion, die gar nicht an politischen Lösungen interessiert ist, und dem im Grunde das eigene Befinden wichtiger ist, als die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen oder Veränderungen zu bewirken. Es ist eine Kapitulation vor der Wirklichkeit.

So etwas schreibt man also beim European Democracy Lab. Und so etwas steht in Le Monde Diplomatique und der Taz. Gleichzeitig treffen sich die Häupter der EU-Staaten, ohne eine konstruktive solidarische Lösung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise zu finden, und es regt sich kein nennenswerter Protest. Es wunder nicht einmal.

Gibt es zwischen diesen zwei Dingen vielleicht einen Zusammenhang?

European Democracy Lab ist: „a young, cross-generational, inter-disciplinary think tank working on new ideas for the future of European politics, its economy, and a our shared society“ [sic]


Dienstag, 16. Februar 2016

Vortrag über "Fluchtursachen" von Oliver Piecha

Eine sehr schonungslose Zusammenfassung der Situation in Syrien. Sehr bitter, aber wirklich empfehlenswert. Der Vortragende erklärt zum Schluss auch anschaulich, warum die Zahl der Flüchtlinge nach Europa in den nächsten Jahren noch zunehmen wird: "Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten & die Ruinen des alten Nahen Ostens - Ein Vortrag von Dr. Piecha".


Edit: Als Kontrapunkt ein internes Memo aus dem State Department von 2012. Es ist eine Nachricht von Robert Ford (damals Botschafter in Syrien) an verschiedene Personen im Außenministerium, in der er eine Einschätzung seines "alten Freundes aus Irak", dem Journalisten Richard Engel, zusammenfast. Engel hatte gerade einige Zeit mit den Rebellen der Freien Syrischen Armee verbracht, und sich offenbar von deren damaliger Siegesgewissheit anstecken lassen. Selbst der Schluss des Memos, als recht beiläufig von den zu erwartenden Massakern die Rede ist, sollte das Regime fallen, klingt aus heutiger Perspektive gefährlich naiv:
He anticipates there will be retaliation against Alawis. Sooner the fighting ends, the fewer Alawis killed in revenge. (note: experienced journalist Nir Rosen says same thing.) Engel speculated that there could be demands to each Alawi community to turn over particular hated individuals and if those communities hesitate, massacres would ensue.
• FSA not so hostile to Christians — Engels speculated they would not suffer retaliation like Alawis.

Engel thought the regime failing fast — wasn't sure it would last more than a couple more months.
Hier kann man das Dokument im Original nachlesen: https://foia.state.gov/searchapp/DOCUMENTS/HRCEmail_Feb13thWeb/08638FEB13/DOC_0C05796616/C05796616.pdf

Samstag, 6. Februar 2016

Die andere Seite des Vietnamkrieges

Immer noch und wohl für alle Ewigkeit ist unsere Wahrnehmung des Vietnamkrieges von der amerikanischen Perspektive bestimmt, genauer gesagt: von einigen Hollywood-Filmen. Diese beeindruckenden Bilder entstanden auf der Seite der Gewinner: Another Vietnam.


Montag, 1. Februar 2016

Armin Nassehi und Götz Kubitschek im Gespräch

Edit: In einer besseren, weil überarbeiteten und vor allem lektorierten Fassung ist dieser Text bei le-bohèmien nachzulesen.

Die Krautreporter haben einen etwas älteren Briefwechsel zwischen dem Soziologen Armin Nassehi und Götz Kubitschek veröffentlicht. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ebenso wie Nassehi glaube ich auch, dass es keinen Grund gibt, Positionen, wie sie von Kubitschek und seinem Kreis vertreten werden, grundsätzlich vom Diskurs auszuschließen. Wer behauptet, diese Ansichten seien objektiv oder prinzipiell unzulässig (wg. Feindschaft gegen demokratische Grundordnung und so), der will eigentlich nur eine missliebige politische Position bekämpfen. Das ist legitim, und verstehen kann ich es auch, aber letzlich redlich ist es nicht. Zwar ist es sicher übertrieben, wie Gauland das vor kurzem bei "Hart aber Fair" getan hat, die Sezession einfach nur "konservativ" zu nennen, "„mit zum Teil sehr interessanten Artikeln über Heidegger und Sartre und so weiter." Das ist verharmlosend. Aber ebenso falsch ist es nun einmal, extreme Ansichten automatisch aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Linksextreme liest man ja auch (und gerne), denn selbst wenn man deren Positionen nicht teilt, haben sie oft etwas interessantes zu sagen. Und überhaupt, wenn dieses sterbenslangweilige Land namens Bundesrepublik eines nicht braucht, dann ist es mehr Harmlosigkeit in der öffentlichen Debatte.

Die Sezession ist radikal und kompromisslos rechts, also rechtsradikal. Diese Bezeichnung scheint mir durchaus angemessen, zumindest angemessener als das vage Label "konservativ". Wie der Name Sezession schon besagt, liegt der Standpunkt, den die Zeitschrift einnimmt, außerhalb aller etablierten politischen und gesellschaftlichen Lager, stellt also unsere Gesellschaft sehr grundlegend in Frage. Bezugspunkte sind dabei neben den nun tatsächlich radikalen Vordenkern der Konservativen Revolution aber auch Autoren wie Arnold Gehlen, die einmal, vor langer, langer Zeit, noch zum konservativen Mainstream der Bundesrepublik gehörten, mittlerweile aber, vielleicht zu Recht, vom Zeitgeist aussortiert worden sind.


Dass die Sezession und ihr Umkreis (auch die Junge Freiheit, etc.) in den letzten Wochen aus dem Nischendasein ausgebrochen ist und immer mehr in die Öffentlichkeit vordringen konnte, war eigentlich auf Jahre überfällig, hatte man doch lange schon daran gearbeitet mit metapolitischer Arbeit den Boden für einen gesellschaftlichen Rechtsruck zu bereiten. Nach Jahren der relativen Isolation und Erfolglosigkeit trägt dieses Projekt jetzt Früchte. Mit der Flüchtlingskrise hat sich quasi ein Einfalltor in immer größere Kreise des konservativen Bürgertums geöffnet, eines das zuvor von Sarrazin, Sloterdijk, eurokritischen Ökonomen, etc. mühsam Stück für Stück aufgestemmt worden war. Alles, was sich in der AfD um "Erfurter Resolution" und "Patriotische Plattform" gruppiert (und das eigentliche Machtzentrum in der Partei bildet), ist ideologisch eindeutig von Kubitschek&Co. geprägt. Einer Auseinandersetzung kann man also nicht länger aus dem Weg gehen. 

Wobei sich hier auch wieder ein Hoffnungsschimmer abzeichnet: Es wird ja oft argumentiert, dass die AfD ein spezifisches gesellschaftliches Millieu repräsentiert, dass sich von der CDU nicht mehr vertreten fühlt und deshalb auf Dauer eine neue Partei etablieren wird (etwa hier im Cicero). Ich bin nicht davon überzeugt, dass es so eine Repräsentationslücke tatsächlich gibt. Ich glaube vielmehr, das eine solche Lücke von Konservativen selbst eigentlich erst herbeigeschrieben, fast beschworen wird. Ohne Euro- oder Flüchtlingskrise würden wir diese Diskussion gar nicht führen. Wenn (oder falls) das durch diese Krisen geschaffene Protestwählerpotential verschwindet, wird die AfD auf die 3%, die sie im Sommer hatte, zurückfallen, und auch die Sezession wird wieder in der Isolation verschwinden. Diese Isolation hat nämlich nicht nur mit der aggressiven Marginalisierungstaktik des politschen Gegners zu tun, sondern ist objektiv darin begründet, dass hier genuin extreme Ansichten vertreten werden, im Sinne von: sie werden nur von einem Bruchteil der Gesellschaft geteilt, geschweige denn überhaupt verstanden (nicht weil die Menschen dumm sind, sondern weil ihnen derart rechte Gedanken so unvertraut sind, so fremd.) Käme es darauf an, wirklich darüber abzustimmen, ob man in einer Gesellschaft leben will, wie sie etwa die AfD herstellen will, dann würden es sich die meisten, die sie heute als "Fundamentalopposition" unterstützen, wohl doch noch einmal überlegen. Vor allem die gesellschafts- und sozialpolitischen Pläne der AfD sind vielen Menschen kaum bewusst - und das nützt deren Wahlergebnissen ungemein.

Es lohnt sich aber trotzdem, den Briefwechsel zu lesen, um einen unmittelbaren Eindruck davon zu bekommen, aus welcher Quelle sich viele der rechten Ideen, die gerade in die Öffentlichkeit drängen, eigentlich speisen. Wer davon noch nicht genug bekommt und einen richtigen Innenblick in die Szene gewinnen will, der sollte dieses interessante Buch lesen. (Wie man sieht, wird es von Amazon nicht vertrieben - das ist noch einmal so eine Sache, die auch für Nicht-Rechte, da stimme ich Nassehi zu, eigentlich inakzeptabel ist.)

Ein Problem habe ich allerdings mit Armin Nassehis Herangehensweise. (Vorsicht: Ich muss zugeben, dass ich nie eines seiner Bücher gelesen habe, außer den Schlagworten "Systemtheorie, hält Links-und-Rechts-Kategorien für überholt und der Komplexität unserer Gesellschaft nicht angemessen" weiß ich wenig über ihn.) Nassehi spricht mit Kubitschek zu sehr, als sei dieser selbst vor allem ein Intellektueller oder gar Soziologe, dem es an einer Analyse und Beschreibung der Gesellschaft gelegen ist. Die eigentliche Dynamik, aber auch die eigentlichen Antriebe von Kubitscheks Denken, und dem rechten Denken allgemein, entgehen ihm auf diese Weise. 

Nassehi schreibt etwa: 
Ich beobachte an meinem eigenen Fach eine Entwicklung, die zu einem in dem angedeuteten Sinne „konservativen“ Handlungsbegriff führt. Konservativ meint, dass wir Handlungen immer mehr in dem Kontext eines nicht reflexiven, gewohnheitsmäßigen, habitualisierten Zusammenhangs entdecken und die intentionale Hervorbringung von Handlungen nur einen kleinen Teil dessen ausmacht, was wir tun. Diese praxistheoretische, auch systemtheoretisch und netzwerktheoretisch ausgerichtete Idee erkennt an, dass soziale Ordnung weder Tabula rasa ist, noch wie auf einer Tabula rasa entworfen werden kann, sondern schon „da“ ist. Das hat erhebliche Konsequenzen, die tatsächlich zu einer eher konservativen Lesart verleiten - am genialsten womöglich von dem sehr linken Denker Pierre Bourdieu begriffen, der empirisch darauf gestoßen ist, wie es um Restriktionen des Handelns steht.
In diesem Sinne als konservativ lässt sich aber höchstens die grobe Grundlage des rechten Denkens beschreiben. Ihren Kern hat man damit noch nicht berührt. Davon bin ich zumindest, ausgehend von  Corey Robins genialem Buch The Reactionary Mind, überzeugt.

Rechte glauben an Hierarchien und an die Ungleichheit der Menschen. Wenn sie von der Stabilität und der Notwendigkeit fester gesellschaftlicher und sozialer Normen und Institutionen sprechen, dann ist damit immer erstens eine hierarchischere Ordnung gemeint, und zweitens eine, die sich dadurch auszeichnet, dass konkreter, fester, und freier Kontrolle und Macht von einigen Menschen über andere Menschen ausgeübt wird. Ob der Staat gegenüber Arbeitslosen, die Justiz gegenüber Kriminellen, der Unternehmer gegenüber Angestellten, der Lehrer gegenüber Schülern, oder der Vater gegenüber Frau und Kind: Immer geht es darum, die Freiheit und Macht "natürlicher" Authoritäten über die zu stärken, die auf Kontrolle und Leitung angewiesen sind. Wenn Konservative davon sprechen, dass Menschen notwendig in Strukturen eingebunden sein müssen und dass es völlige individuelle Freiheit nicht geben kann, dann sind diese Strukturen nicht anonyme, abstrakte "Institutionen": Anders als ein an Luhmann geschulter Soziologe haben Konservative da ganz konkrete Machtverhältnisse vor Augen. Aber weder die Begriffe Hierarchie, Macht, Unterordnung, Kontrolle, Klassenbewusstsein, oder Herrschaft spielen im Briefwechsel eine Rolle.

(Besonders deutlich wird das bei Nassehis Einschätzung des Nationalsozialismus als "eher" linke Bewegung. Akzeptiert man Hierarchie und Authoritarismus als zentrale Fixpunkte rechter Ideologie, wird klar, dass die vom Nationalsozialismus angestrebte Gesellschaft vielmehr ultra-rechts gewesen ist. Der "neue Mensch" sollte ja eben nicht durch Befreiung geschaffen werden, sondern durch Führung, Kampf und Auslese gezüchtet. Das nur nebenbei.)

Noch einmal: Es geht Rechten vor allem darum, klarere und strengere Herrschaftsverhältnisse herzustellen, das ist es, woran sie glauben. Wie ich schon einmal am Beispiel Sarrazin veruscht habe zu belegen, missfällt ihnen an der ausländischen Bevölkerung oft ja nicht einfach nur ihre Anwesenheit. Es ist mehr die Tatsache, dass die ausländische Bevölkerung (die zumindest bei Sarrazin mit der deutschen Unterschicht verschwimmt) nicht der unmittelbaren Kontrolle der deutschen bürgerlichen Gesellschaft untersteht. Überspitzt gesagt: Eine migrantische Bevölkerung, die nicht durch staatsbürgerliche Rechte, ein Klima der Toleranz und Gleichberechtigung, sowie den Sozialstaat geschützt und zu gleichberechtigten, autonomen Subjekten gemacht werden würde, wäre auch für die Rechte akzeptabel. Und wer weiß, vielleicht würde das vorgeschobene Argument der "Fremdheit" schnell an Bedeutung verlieren, wenn man Immigranten so wie in vielen anderen Ländern (Singapur, Saudi-Arabien, etc.) zu einer fast rechtlosen, niedrigen Kaste degradieren würde...
Wenn die AfD praktische Vorschläge zum Umgang mit "Ausländern" macht, dann ist nicht nur von Vertreibung und ethnischer Reinheit die Rede, sondern vielmehr von ganz konkreten, sehr unmittelbaren Herrschafts- und Kontrollmechanismen: Predigen in Moscheen sollen nur auf Deutsch erlaubt sein, um die Überwachung zu erleichtern, Abschiebungen sollen erleichtert werden und als disziplinierendes und strafendes Mittel verwendet werden, es soll mehr Polizei geben, mehr Bewaffnung der Bürger. Und dazu viele symbolische Maßnahmen, die vor allem darauf abzielen, laut und deutlich Dominanz auszustrahlen - etwa der Vorschlag, die Errichtung von Moscheebauten, die auch als solche zu erkennen sind, von der Zustimmung der Anwohner abhängig zu machen.
Wenn die AfD in Sachsen-Anhalt Schullehrpläne oder Programme der öffentlichen Theaterbühnen auf einen "deutschen Kurs" bringen will, dann ist das nicht nur das Bedürfnis nach ethnischer Reinheit, es ist vor allem das Bedürfnis, über gesellschaftliche Bereiche Macht und Kontrolle auszuüben, die im Moment frei und unabhängig sind und nicht der unmittelbaren Kontrolle des konservativen Bürgertums unterliegen. Auch die Ablehnung supra-nationaler Regierungsinstitutionen wie der EU speist sich letztlich aus dem Bedürfnis nach stärkerer eigener Herrschaft und Macht: Eine renationalisierte, oder sogar re-regionalisierte, Politik würde vor allem den Status nationaler und lokaler Eliten stärken, die sich im Moment oft von der goßen Welt und der EU entmachtet fühlen. Mehr Souveränität bedeutet einen Zugewinn an Status und konkreter Macht für diese lokalen Eliten. Wenn die AfD sagt: "Mut zu Deutschland!", dann meint sie "Bürgertum, habe den Mut, dir wieder mehr Kontrolle über Deutschland anzueignen!"

Um es klar zu stellen: Ich glaube nicht, dass jeder einzelne Rechte von dem persönlichen Drang nach Macht und Herrschaft getrieben ist, obwohl das sicher oft die Motivation ist. Aber jeder Rechte glaubt, dass eine Gesellschaft nur funktioniert, wenn es in ihr Hierarchien und Herrschaft gibt, wenn also vielen Menschen ganz konkret Freiheiten und Autonomie genommen werden: den Armen, den Arbeitslosen, den Arbeitern, den Muslimen, den Fremden, den Studenten, den Faulen, den weniger Klugen, den Kindern, den Frauen, den Schülern, den Kulturschaffenden, den Medien, etc. Auch marktradikale Libertäre, die ja eigentlich die "individuelle Freiheit" hoch halten, sind in diesem Sinne  "Rechts": Sie glauben bloß, dass die Disziplinierung, Herrschaft und Hierarchisierung, um die es ihnen eigentlich geht, am wirksamsten und gerechtesten von einer freien Marktwirtschaft vollzogen werden kann.

Kubitschek macht sehr deutlich, warum er gerade für schwächere Menschen härtere Lebensumstände für begrüßenswert hält: Nur eine unabgefederte, unsichere, härtere Existenz könne sie zu einer würdigen Lebensführung verleiten - die Abfederung von Druck führt zu Dekadenz:
"Wir leben indes in einer Zeit, in der jedes Schicksal abgefedert, jeder Lebensirrtum ausgebügelt, der Schrott jedes Experiments weggeräumt wird – wo sollte da eine konservative Handlungslehre herkommen, die tiefer reichte und tiefer wirkte als irgendein Lack?"
Die praktische politische Dimension dieses Gedankens, nämlich seine Anschlussfähigkeit für ein Bürgertum, dass sich größere Kontrolle und weniger (staatlich erzwungene) Solidarität mit den Schwächeren und Anderen wünscht, wird von Nassehi übersehen, der Kubitschek vor allem mit den Begriffen Homogenität und Komplexität zu greifen versucht. Aber um gesellschaftliche Homogenität allein geht es den Rechten nicht. Die Vorstellung unauflöslich fremder, ja prinzipiell feindlicher kultureller Identitäten ist vielmehr Bedingung des Gedankens der Ungleichheit, und dieser wiederum ist der notwendige, grundlegende Schritt zur Schärfung von Hierarchien. Rechten geht es um den Angriff auf die Freiheit der Vielen, zugunsten der Freiheit und der Macht der Wenigen.In diesem Sinne ist die AfD "freiheitlich": Sie möchte es den natürlichen Eliten - als die sich das konservative, männliche Bürgertum versteht ("Leistungsträger") - ermöglichen, endlich wieder den angemessenen gesellschaftlichen Rang zu beanspruchen und sich die Freiheit zu nehmen, direkter und mit besserem Gewissen Macht über den Rest der Gesellschaft auszuüben.

Kubitschek, et. al. sagen gerne, dass sie im preußischen Sinne "dienen" möchten, dass ihnen die Erfüllung dieses Wunsches in der aktuellen, dekadenten Gesellschaft allerdings unmöglich ist. Dieser Gedankde des "Dienens" besitzt für sie einen unglaublichen Pathos und ist offensichtlich eine ehrliche Sehnsucht. Aber auch hier geht es um Hierarchien: Nur in eine hierarchische, strengere Ordnung könnten sie sich mit gutem Gewissen einfügen, nur in dieser würden sie sich aufgenommen und wert geschätzt fühlen - auch wenn sie selbst nicht einmal unbedingt an der Spitze dieser Ordnung stehen möchten. Mit anderen Worten: Wenn irgendwann wieder die Berufe des akademischen Bürgertums (Leher, Offiziere, Ärzte, Unternehmer, Anwälte, Professoren, etc.) den gleichen Status, die gleiche gesellschaftliche Authorität besitzen, wie sie das in den guten alten Zeiten, im Kaiserreich oder sogar noch in den Anfangszeiten der Bundesrepublik taten, dann müssen vielleicht auch die Rechtsintellektuellen nicht mehr traurig sein und können ihre Zeitschriften einstellen. Bis dahin aber haben sie unserer Gesellschaft den Kampf erklärt.