Communism

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Freitag, 1. Juli 2016

Ein paar Bücher


Ich habe es irgendwie geschafft mitten im Juli krank zu werden und daher endlich mal wieder Zeit, in Ruhe sinnlos Bücher zu lesen - was gibt es besseres? Diese fünf liegen neben meinem Bett. Zu 80% (ja, auch das über Nancy Reagan) handelt es sich durchweg um unterhaltsame, faszinierende Texte, die den Horizont erweitern. Das andere ist rechte Grütze. 

Na ja, wirklich schlecht finde ich das Buch von Lichtmesz, dem Wiener Guru der "Identitären Bewegung", nicht. Es war sogar durchaus interessant - auch wenn es natürlich streckenweise völlig wahnsinnig ist, dann wieder abstoßend, und dann wieder so langweilig und abschweifend, dass man einfach weiter blättern MUSS. Vor einigen Jahren, als ich gerade erst Egon Friedell (Lichtmesz ist auch Fan), Kierkegaard, Adorno, Kafka, Tolstoi und als Dreingabe William Gaddis gelesen hatte - und als ich noch gelegentlich gekifft habe, fällt mir ein - hätte ich dem Buch vielleicht sogar noch richtig etwas abgewinnen können. Aber seitdem ist auch in der Welt einiges passiert, die Geschichte ist über uns hereingebrochen, und es ist nötig, diese Dinge etwas nüchterner und ernster in den Blick zu nehmen. 

Ich will kurz zwei Thesen aufstellen:

Erstens: Die Neue Rechte, besonders ihre "intellektuelle" Fraktion, besteht zu großen Teilen aus narzisstischen, selbstherrlichen jungen Männern mit Messiaskomplex, die ihre eigene aus Selbstbezogenheit und tiefer Unehrlichkeit (sich selbst gegenüber!) geborene Sinnkrise mittels reaktionärer Politik kurieren möchten. Klingt übertrieben? So formuliert es Lichtmesz:
Beinahe zum religiösen Erweckungserlebnis geworden ist hingegen der Übertritt zur verfemten politischen "Rechten". Dieser Schritt wird von Menschen mit entsprechenden Erfahrungen nicht selten mit dem Schlucken der roten Pille aus dem Science-Fiction-Kultfilm Matrix (1999) verglichen, die dem von intelligenten Maschinen versklavten Protagonisten schlagartig die schreckliche Wahrheit hinter dem einschläfernden, illusorischen "Man" (dit is Heidegger, Anmerkung d. Bloggers) seines bisherigen Alltagslebens offenbart. Daraufhin wird er geradezu gezwungen, zum (in gnostischer Manier an sich selbst und seine gottgleichen Superkräfte) Glaubenden und Hoffenden zu werden, um der allgegenwärtigen, schier unbesiegbaren Macht zu widerstehen, die die Trugwelt errichtet hat, die ihn bisher umklammert hielt. Auch der Protagonist des verwandten Films Fight Club (1999) hat sich im "Man", in Konsümgütern und... 
... und so weiter.

Zweite These: Ihre Verehrung für die "europäische Kultur", für Heimat, Tradition und für die Schönheit einer von der Moderne bedrohten Welt, besitzt als Kehrseite eine tiefe Menschenverachtung, eine Geringschätzung des wirklichen Lebens (so es denn modern gelebt wird), sowie einen ästhetisierten Todeskult. Das äußert sich etwa in ihrem Faible für blutige Märtyrergestalten (Mishima, George Venner, Stauffenberg), aber auch in dem tiefen Hass auf die völkerzersetzenden Eliten, Linken, Multikultis, etc., die, da sie sich am Heiligsten vergehen - der traditionellen kulturellen Identität des weißen Europas - im wahrsten Sinne des Wortes als Volksverräter zu gelten haben. 

Lichtmesz schreibt: 
Geschichten wie diese (er zitierte irgendetwas aus Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, wie gesagt, sehr zu empfehlen das Buch!) erinnern uns daran, daß Dinge wie der Wahnsinn, die Infamie, die Ungerechtigkeit, die Gier und Dummheit der Machthaber, denen wir heute gegenüberstehen, in der Weltgeschichte durchaus üblich sind; daß sie zahllose Gesichter haben und sogar in Gottes Namen auftreten können, und daß wir es heute noch lange nicht mit ihren schlimmstmöglichen Ausprägungen zu tun haben, auch wenn sich ihre Folgen auf lange Frist verheerender auswirken mögen als der Dreißigjährige Krieg oder beide Weltkriege des letzten Jahrhunderts. 
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Was sind denn diese "Folgen", die Lichtmesz meint? Er meint (so interpretiere ich ihn, er belässt es natürlich bei der düsteren Andeutung) die Auflösung der traditionellen Grundlagen europäischer Kultur in einer modernen, globalistischen Zivilisation sowie, zweitens, die langfristige Vermischung und sogar zahlenmäßige Verdrängung der weißen Völker Europas seitens arabischer und afrikanischer Einwanderer. Selbst wenn man das für realistisch hält, und Lichtmesz' völkische Prämissen akzeptiert, die in Einwanderung eine "Invasion" fremder Völker sieht, fragt man sich doch etwas ratlos: BEIDE Weltkriege zusammen? So schlimm soll das sein?

(Das wirklich witzige hieran, wenn man darüber lachen mag: Dass die Rechten den Humanisten immer vorwerfen, diese seien die ideologisch verblendeten...)

Was Lichtmesz in seinem adoleszenten 'Pathos der Distanz' natürlich meint, ist die Gefahr, welche diese Ereignisse für das Überleben der europäischen Kultur darstellen - aus den Massakern und Leichenbergen der letzten Jahrhunderte ist diese nämlich immer noch wieder auferstanden, aber wehe, wenn in Wien einmal 50% Moslems wohnen, dann ist es so, als hätte Mozart umsonst gelebt. Finis Europa. 

Aus diesem überspannten, selbsthypnotischen Verhältnis zur Heiligkeit des europäischen Erbes schöpfen die Neuen Rechten ihre bizarre Apokalyptik: Während alle weiter ihr Leben leben, die deutschen Klassiker lesen, sich an alter Kunst erfreuen, und gemeinsam mit Muslimen Abitur machen, ohne dass die Welt untergeht, begreifen sie sich als letzte Generation, die noch die Rettung vor dem Untergang bringen könnte. Und das hat eben auch damit zu tun, dass sie letztlich nicht glauben, dass jeder sich Kultur aneignen kann, dass man immer aufs neue eine auch individuelle, aber trotzdem lebendige Beziehung zu (auch fremden!) kulturellen und künstlerischen Beständen entwickeln kann, ohne dass gleich die Fundamente der Gesellschaft ins Wanken geraten. In ihren Augen wurzelt eine "Kultur" in einem sich seiner selbst bewussten und auch politisch selbstbewussten Volk - geht es mit diesem Volk bergab (etwa weil es sein Rassebewusstsein verliert, oder der "Schuldkult" ihm das Mark aus dem Rückgrat zieht) dann stirbt auch seine Kultur. Tja, tragisch. 

Damit sind diese "Verteidiger des Abendlandes" fern einer positiven Bewunderung für unser kulturelles Erbe, aber dafür näher bei Anders Breivik, der, man muss es einfach sagen, in Grundzügen die Weltanschauung der "Identitären Bewegung" vertrat, und eigentlich auch in ihre Märtyrer- und Heroenreihe aufgenommen werden müsste.

Na ja, in gewisser Weise ist es auch andersherum: Gerade in ihrer versponnen Menschenverachtung und ihrem idealistisch verbrämten Fremdenhass sind die Identitären authentische Erben der europäischen Tradition - nur eben eines Teils von ihr, den man heute allgemein gerne überwinden würde. 

Wie sagte einst Slavoj Zizek: "There is no ethnic cleansing without poetry." Und sollten eines Tages die "Remigration" stattfinden, von der die Identitären träumen, und bei Nacht die Menschen abgeholt werden, um sie in den Flieger nach Afghanistan oder Syrien zu setzen, kann man sich sicher sein, dass daneben jemand steht und verträumt Rilke rezitiert. 

Nebenbei, gerade gesehen: Auch der Mann, der vor einigen Monaten Henriette Reker ermorden wollte, beschrieb sich vor Gericht als "konservativer Rebell". Kann man so sagen.

Weiter die Süddeutsche:
Mit seiner Tat habe er auf die angebliche Überfremdung Deutschlands aufmerksam machen wollen. Als Sozialreferentin der Stadt Köln war Reker für die Flüchtlingspolitik zuständig.
(Musik hat nichts mit nichts zu tun, ist nur gut:)