Communism

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Mittwoch, 28. Oktober 2015

Die nordafrikanische Flüchtlingskrise


Das Internetportal statewatch.org veröffentlichte eine Erklärung eines Treffens des „Steering Committees“ des Khartum-Prozesses in Sharm el Sheikh vom April diesen Jahres. Darin ist von der „Stärkung der menschlichen und institutionellen Kapazitäten“ der Polizeikräfte in Eritrea und dem Südsudan die Rede. Wie diese Stärkung konkret aussehen soll und wie viel Geld von der EU an welche Stellen genau fließen wird, bleibt offen. Transparent ist dieser Prozess nicht, Informationen werden geheim gehalten. Vor Ort in Sharm el Sheikh war auch eine deutsche Gesandtschaft.
So steht es in einem neuen Artikel von mir im  Migazin, der sich mit der einfallslosen und oft zynischen Nordafrikapolitik der EU befasst. Einen Aspekt dieser Politik habe ich allerdings nicht besprochen: Die ungerechte Handelspolitik der EU, vor allem die europäischen Agrarsubventionen, die der afrikanischen Landwirtschaft die Luft abschnüren. Es wäre Aufgabe der Linken, die EU dazu zu zwingen, endlich in diesem Zusammenhang für Gerechtigkeit zu sorgen, wenn sie denn so erpicht darauf ist, "Fluchtursachen zu bekämpfen".

Zufällig bin ich gerade in Vijay Prasahds wunderbaren Buch "The Poorer Nations - A Possible History of the Global South" über die folgende Passage gestolpert, die zwar eine Situation aus den 80ern beschreibt, aber die Heuchelei und Ungerechtigkeit der entwickelten Staaten in dieser Frage, an der sich ja bis heute wenig geändert hat, ziemlich gut auf den Punkt bringt. Hintergrund ist die Entwicklungskonferenz in Cancun 1981. Die Schuldenkrise der dritten Welt stand bevor, und gerade war der "Brandt Report" erschienen, in dem eine gerechtere globale Handels- und Entwicklungspolitik gefordert wurde. Gleichzeitig hatte jedoch mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher der hart rechte Neoliberalismus die Kommandohöhen der Weltwirtschaft erobert:
India's Indira Ghandi spoke of the need for agricultural subsidies; but her heart was not fully in it. Ghandi had vacillated between the road to socialism and the IMF's road since the early 1970s. It was her vote bank in rural India that won her the election in 1980, and it was this vote bank - meinly large and middling farmers - whose well-being was sustained by governmental subsidies. Reagan cut her off. "This is cheating," he said, "Subsidizing agriculture is cheating." Tanzania's Julius Nyerere was in the meeting and was clearly confused. He stopped Reagan, which was itself an unusual occurence: "But President Reagan, I have the figures here about your subsidies," he said, referring to the considerable US government subsidies to its agribusiness sector. Nyerere read out the numbers. Reagan consulted with his team. After a while, he said, "But the subsidies were established by Carter." No more was allowed of such heresy.
Gott, Ronald Reagan war ein Idiot.

Samstag, 24. Oktober 2015

Lügenpresse! Oder: Warum ich mich erschießen werde, wenn niemand außer RT mir einen Job gibt.


Man kann durchaus empfänglich für diese Minstrel-Performance eines freundlichen korporativen Staates sein. Für die Vorstellung, dass wir in der Deutschland AG alle an einem Strang ziehen und von einer soliden Elite in weiser Vorraussicht geführt werden. Gerade in einer sich globalisierenden Welt hat der Gedanke einer nationalen (wenn’s sein muss, sogar ein bisschen korrupten!) Wirtschafts- und Machtelite auch etwas beruhigendes – ist nicht das wunderbare an „Seilschaften“, dass sie nicht so anonym sind wie der Aktienmarkt?
So schrieb ich über meinen fast schon ein Jahr zurückliegenden Besuch bei der ersten AGENDA-Konferenz des Tagesspiegels. Worum es sich dabei handelt und was ich dort erlebt habe, kann man meinem Bericht auf le bohémien entnehmen, einer überhaupt sehr guten Website voller interessanter politischer Artikel.

Auch ein Leserkommentar wurde dort hinterlassen, der mich allerdings etwas deprimiert: "Danke für den Bericht zu dieser Veranstaltung", lautet er. "Ich lese als Quintessenz: Der Tagesspiegel gehört zu Lügenpresse und dient sich als Medienhure an." 

Ist das schon "Beifall aus der falschen Ecke", den ich da gekriegt habe? Es wäre nicht das erste mal: Schon als ich vor einigen Wochen einen ZEIT-Artikel kritisierte, welcher die russische Regierung angriff, wurde mein Artikel auf einigen Blogs gepostet und verlinkt, die - sagen wir es mal so - in etwas unseriösem Habitus eine Kritik des westliche Establishments und der entsprechenden Medien formulieren - und das mit einer ungesunden Intenstiät und Ausdauer. Nicht unbedingt Rechte, denke ich (habe das nur kurz überflogen), aber trotzdem ein ziemlich düsterer Teil des Internets, voller Wut, Frustration und Empörung - voller Begriffe wie "Medienhure" eben.

Es ist ein großes Dilemma, das ich immer empfinde, wenn ich etwas "Medienkritisches", "Anti-imperialistisches", "Kapitalismuskritisches" oder sogar "Anti-amerikanisches" schreibe, ein Dilemma, dem man sich selbstkritisch stellen muss: Wo gibt es in dem, was ich sage, Berührungspunkte mit dem anderen Modus der Dissidenz gegen den Zeitgeist, der heute im Aufschwung ist, nämlich mit den Rechten und den Verschwörungstheoretikern? 

Manchmal glaube ich, die Front National ist die echte Avantgarde unserer Zeit. In ganz Europa, in den USA schon lange, gibt es diese neuen rechten Bewegungen, die ihre Energie auch aus einer anti-neoliberalen, verzerrten Kapitalismuskritik beziehen: Früher, vor der Globalisierung und der ganzen Einwanderung, hat unsere Demokratie noch funktioniert, sagen sie, aber jetzt wurde uns unsere Souveränität von internationalistischen (Finanz-)mächten geraubt. Im besten Falle meint man damit dann den real existierenden globalen Kapitalismus und seine Institutionen - im schlimmsten Fall die Amerikanische Ostküste, Codewort für du-weißt-schon-wen.

Auf der anderen Seite sollte man sich als Linker aber auch nicht von solchen leeren Kampfbegriffen wie "Populismus" erpressen lassen - als sei alles, was nicht dem liberalen Mainstream entspricht, allein einem ungesunden, ressentimentgeladenen Irrationalismus entsprungen. Andererseits: Gäbe es noch eine selbstbewusste und breit aufgestellte antikapitalistische Linke, die stolz auf ihre emanzipatorische Tradition ist, anstatt sich in bitterer Selbstkritik und in Rückzugsgefechten zu zerreiben, ließe sich das leichter sagen. Uns fehlt eine seriöse, organisierte, radikale Gegenöffentlichkeit - was wir stattdessen haben sind akademische Ghettos, szenige Bedeutungslosigkeit und einen Haufen isolierter, orientierungsloser Menschen mit Internetzugang. Und dann, als bescheuerten Luftzug im Vakuum, eben so was: 


Vielleicht auch aus persönlichen Gründen, weil ich mich von 90% des medialen und politischen Establishments ziemlich entfremdet fühle, aber irgendwann wahrscheinlich doch einen Job brauchen werde, habe ich ein geradezu körperliches Unbehagen im Angesicht von verschwörungstheoretischem Vokabular. Gerade weil ich einige Ansichten habe, die dem Konsens unserer Zeit oft widersprechen, gerade deshalb wird mir schlecht, wirklich schlecht, wenn ähnliche Ansichten auf dumme, unsachliche, oder hetzerische Weise vertreten werden.

In meinem Studium habe ich mich zum Beispiel ausgiebig mit der amerikanischen Außenpolitik während und nach dem Kalten Krieg beschäftigt, die ja in Deutschland zwar von vielen sehr kritisch gesehen wird, aber nur von wenigen - und da eben oft den falschen - ganz grundlegend in Frage gestellt wird. Ein großer Dienst, den eine aufgeklärte, radikale Kritik an der amerikanischen Außenpolitik der Öffentlichkeit gegenüber leisten kann, läge darin, eine Analyse der scheinbaren Irrationalitäten und Verbrechen dieser Politik zu liefern, die diese, und die Welt insgesamt, auch wirklich verständlicher macht. Eine Analyse, die nicht dämonisiert und von schattenhaften Mächten redet, sondern die Hintergründe beleuchtet und komplexe Ursachen benennt - und dann eben auch Auswege kennt. Und die trotzdem nichts an ihrer Radikalität einbüßt: Aufklärende, radikale Kritik - wie Marx über den Kapitalimus. Früher war so ein (mal mehr, mal weniger differenzierter) Antiimperialismus, der sicher auch seine Probleme hatte, noch eher Teil der Öffentlichkeit - aber heute fehlt da etwas. Es fehlt ganz insgesamt ein politisches Vokabular, das die neoliberale Hegemonie in Frage stellt und uns helfen könnte, uns in der Gegenwart zurecht zu finden. Ein Vokabular etwa, dass es uns erlauben würde, ideologische Hegemonie zu beschreiben, ohne in Unterdrückungsfantasien a lá "mediale Gleichschaltung" oder eben "Lügenpresse" zu verfallen. Und diese Lücke füllen eben rechte Idioten. Die haben keine Hemmungen.  

Nebenbei gesagt halte ich die grassierende Faszination für "Lügen", "versteckte Wahrheiten" oder "Verschwörungen" auch für ein Zeichen unserer Entpolitisierung. Nur Menschen, denen das Gespür dafür verloren gegangen ist, dass es grundsätzlich verschiedene gesellschaftliche Interessen und antagonistische, sich gegenseitig ausschließende politische Positionen und Weltsichten gibt, und dass es ganz normal und gesund ist, dass man sich entlang dieser Linien bekämpft, nur solche Menschen brauchen so fantasievolle Erklärungen dafür, dass die Welt und die Regierung nicht so will, wie sie das wollen. Und wo es keine grundsätzlichen ideologischen Diskussionen mehr gibt, da wird dieses Bedürfnis der Auseinandersetzung auf bestimmte Ereignisse projiziert, um die man sich stattdessen bitter und endlos streiten kann. Anstatt also bittere und endlose Diskussionen über weltanschauliche Fragen, wie es auch gut und notwendig ist, gibt es dann bittere und endlose Diskussionen über die Anthraxbriefe und die Bilderbergkonferenz, was zu nichts führen kann.

So viel zur Kritik der Gegenöffentlichkeit. Um die Öffentlichkeit selbst, das muss auch gesagt werden, steht es allerdings auch nicht besser (s. etwa mein Artikel über den Tagesspiegel.) Deshalb will ich zum Schluss noch diesen faszinierenden Artikel aus der New York Times empfehlen, welcher der Frage nachgeht, welche journalistischen und kulturindustriellen Mechanismen eigentlich die "story" der Tötung von Osama bin Laden für die Öffentlichkeit produziert haben - und was wir wirklich darüber wissen (können), was damals geschehen ist. Es ist eine sehr spannende Geschichte, die einiges über unsere heutige Medienlandschaft verrät, über diese merkwürdige Dialektik aus - technologisch bedingtem - unfassbar direktem und hautnahen Zugriff auf mediale Ereignisse und dem sich trotzdem verbreitenden Unbehagen an einer brüchigen, aufgesplitterten Öffentlichkeit, der man nicht mehr zu trauen wagt. 

Angeblich, das wurde auf der ganzen Welt verbreitet, hat nämlich der Präsident und sein Stab den Überfall auf die Villa bin Ladens per live stream (!) verfolgt. Und das Videomaterial sollen Kameras geliefert haben, die auf die Helme der Navy Seals montiert waren, die also das ganze live und in Ego-Shooter-Perspektive nach Washington übertragen haben. Natürlich stimmt das nicht, aber allein schon die Vorstellung, und die Tatsache, dass diese Information verbreitet wurde... 

Die Wut, die einem aus den Kommentarspalten unserer Zeitungen entgegenschlägt, rührt sie nicht auch daher, dass wir dank des Internets an allen Ereignissen unmittelbar und persönlich beteiligt sind - und dann doch irgendwie ausgeschlossen? Das Internet gibt uns die Illusion, wir seien mehr als Statisten des Weltgeschehens, sondern wirklich an ihm beteiligt. Die Illusion, dass wir auch abseits etablierter Medienbürokratien mitreden können. Und die Wut, sie rührt daher, dass wir uns daran erinnern, dass wir doch nur zum Publikum gehören.

Hier ist ein russisches Propagandavideo aus Syrien. Ist das jetzt ultrarealistisch oder schon Computerspiel?


Montag, 12. Oktober 2015

"Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Schande": Das Zentrum für politische Schönheit spricht

Vor einigen Tagen dachte ich noch, ich müsse mich zur Erklärung meines Unbehagens an der pro-militärischen Ideologie des Zentrums für politische Schönheit noch mühsam durch eines ihrer Manifeste arbeiten und ihren intellektuellen Bezügen nachgehen. Ich hatte zwar schon Interviews mit Philip Ruch gelesen, in denen er zur Intervention in Syrien aufrief, und ich kannte auch schon sein 'Erweckungserlebnis Sebrenica', aber irgendwie war ich immer noch der Ansicht, bei seinem Militarismus handele es sich vor allem um eine Nebenerscheinung seiner - für mich zumindest - bizarren politisch-philosophischen Ansichten. Auch dachte ich, seine unkritische Unterstützung militärischer Interventionen im Namen der Menschenrechte wurzele vielleicht in einem gewissen politischen Unernst oder auch in Naivität - als habe er eben die letzten 20 Jahre damit verbracht hat, Aristoteles zu lesen, anstatt Nachrichten zu schauen.

Jetzt aber gab Philip Ruch der Frankfurter Rundschau ein Interview, das keine Fragen mehr offen lässt. Er wiederholt nicht nur die Forderung nach einem militärischen Einschreiten in Syrien, spezifisch gegen den kürzlichen russischen "Angriffskrieg", er bemüht auch das älteste Klischee aller alarmistischen Kriegstreiber, nämlich den Vergleich mit der appeasement-Politik Chamberlains im Angesicht von Hitler, um zum Widerstand und zu größerer Härte gegen Putin aufzurufen. Dessen erklärtes Ziel sei es nämlich, da ist sich Ruch sicher, "Europa zu destabilisieren." Finster fügt er hinzu: "Viele werden aufwachen, wenn es zu spät ist."

Die ganze Passage:
"Unser Nichts-Tun ist der wesentliche Faktor im Krieg in Syrien. Fassbomben und IS sind das direkte Produkt unserer Untätigkeit. Wo ist der Aufschrei zum russischen Angriffskrieg auf den Widerstand gegen einen der übelsten Diktatoren? Dass wir zuschauen, wie Russland sich die Krim schnappt, war das Signal für Putin, überhaupt in die Ukraine einzumarschieren. Churchill sagte 1938 über Chamberlain: Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Schande. Sie wählten die Schande. Und den Krieg werden sie jetzt auch noch bekommen.

Was wäre bei der Krim richtig gewesen?
Putin hat den erklärten Willen, Europa zu destabilisieren. Viele werden aufwachen, wenn es zu spät ist. Man hätte niemals zur Tagesordnung übergehen dürfen, als die ersten Meldungen verkleideter russischer Kampfverbände auf ukrainischem Territorium kamen. Der Westen ist blamiert. Das Signal, dass uns die Ukraine gleichgültig ist, war unüberhörbar. An Srebrenica lässt sich erkennen, wie Völkermord funktioniert. Im Juli 1995 wurden dort 8372 Bosnier ermordet. Blauhelmsoldaten standen daneben und intervenierten nicht. Im Gegenteil, sie haben die Männer noch von ihren Frauen getrennt und an die feindlichen Truppen ausgeliefert. Ratko Mladic hatte ganze vier Panzer losgeschickt, um zu erfahren, was der Westen zu tun gedenkt. Dazu muss man wissen: Es gibt nur eine einzige Straße, die nach Srebrenica führt. Man hätten nur diese Straße verteidigen müssen, um 40 000 Zivilisten in der ersten „Schutzzone“ der Vereinten Nationen wirksam zu beschützen und 8372 Menschen das Leben zu retten. Das Grauen von Srebrenica hätte mit der Bombardierung dieser vier Panzer in dieser Form niemals stattfinden können"
Ich möchte wirklich nicht die russische Aggression verharmlosen, oder die Natur der russischen Regierung. Aber gerade Ruchs unmittelbares Überschwenken vom Krieg in der Ukraine zu seinem offenbar ultimativen historischen Bezugspunkt, dem Massaker in Sebrenica, zeigt deutlich, dass es ihm hier weniger um Menschenrechte geht, als darum, sie opportunistisch in den Dienst einer Apologetik einer härteren, aggressiveren und unnachgiebigeren Haltung 'des Westens' gegen seine Feinde zu stellen. Oder was soll dieser Vergleich sonst? Sebrenica? Im ganzen Ukrainekrieg sind nicht so viele Menschen gestorben! Geht es nicht auch eine Nummer kleiner?
Auch könnte nichts falscher sein, als die Behauptung, wir seien in Syrien "untätig." Das mag zwar für die Bundesrepublik zutreffen, aber bis vor kurzem war Russland fast das einzige Land mit einer größeren Luftwaffe, das dort keine Bomben geworfen hat. 'Der Westen' unterhält dort seit Jahren gemeinsam mit seinen verachtenswerten Verbündeten aus Arabien, sowie aus der Türkei (und auch Israel) sehr aufwendig eine Stellvertreterarmee und lässt mehr oder minder offen al-Quaida für sich kämpfen. Ich wiederhole auch noch einmal meine Hinweis aus dem letzten Post: Dank der Washington Post kann man mittlerweile zumindest das Budget der CIA für Einsätze in Syrien mit ca. $1 Milliarde jährlich bis vor kurzem beziffern. Das war aber nur ein Teil der Ressourcen, der Waffen und des Geldes, die seit Jahren den Krieg anheizen. Und immer schon, von Anfang an, hat man in Kauf genommen, radikale Islamisten zu stärken, solange diese nur auf der richtigen Seite stehen.

All das kann man finden, wie man will, man kann es ablehnen oder man kann man es als gerechtfertigt ansehen, weil es dem Kampf gegen Assad, "einen der übelsten Diktatoren" (Ruch) dient - aber man darf es nicht leugnen und behaupten, wir seien in Syrien untätig. 

(Im übrigen finde ich die innenpolitischen Aktionen des Zentrums für politische Schönheit, vor allem zur Flüchtlingskrise immer noch wunderbar und unterstützenswert. Und ihre Videos immer noch lahm.)

Montag, 5. Oktober 2015

Die Schönheit des Stellvertreterkrieges - ein paar Gedanken zum "Zentrum für politische Schönheit"

Das Zentrum für politische Schönheit macht gute und wichtige Arbeit. Ich finde zwar ihre Videos immer ziemlich schlecht, würde mich vermutlich auch bei ihrem Theaterstück langweilen, aber ihre Aktionen machen Eindruck und haben echte Durchschlagskraft. Vor allem: Wir brauchen sie. Sie setzen Themen auf die Tagesordnung, die in Deutschland zwar dem kritischen Teil der Öffentlichkeit großes Unbehagen bereiten, die aber trotz allem nicht wirklich umkämpft sind. Die Aktionen sind direkt, aggressiv und wenig auf die Feinheiten und Konventionen des "Diskurses" bedacht. Besonders gefällt mir diese Aktion, als das Zentrum 25.000 Euro Belohnung aussetzte, um zumindest einen der Eigentümer von Krauss-Maffei Wegmann ins Gefängnis zu bringen. Sie lenkten so nicht nur Aufmerksamkeit auf die verabscheuungswürdigen Geschäfte mit dem Terrorstaat Saudi Arabien, sie nutzten auch die Gelegenheit um die Profiteure des Ganzen genüsslich und in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Man merkt der Aktion richtig an, wie sie es genießt, diese abscheulichen Menschen zu demütigen - es ist dies eine Freude, die man sich als Aktivist keineswegs versagen sollte. 

Was zu der Frage führt: Gibt es in Deutschland überhaupt Aktivisten? Vor allem Aktivisten, deren Aktivitäten darüber hinausgehen, ab und zu Schaufenster und Polizeiwagen zu zerschlagen? 

Denn eines ist klar: Wenn das Zentrum für politische Schönheit die politische Avant-Garde unserer Zeit darstellt, ist das zwar rühmlich für sie - aber für unser Land ist es vor allem ein Armutszeugnis. Sie selbst sagen das ja auch: Ihr Programm des "radikalen Humanismus" sei vor allem eine Reaktion auf eine politische und moralische Krise. Es ist der Versuch, ein Vakuum zu füllen. Dabei geht es ihnen nicht nur darum, wie das ja alle wollen, die Menschen "aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln" oder ähnliches. Sie streben nach höherem: Sie wollen mit ihrer Arbeit gegen die Ziellosigkeit der postmodernen Gegenwart einen großen, veredelnden Kampf setzen - den Kampf für die Menschenrechte. Es geht ihnen darum, Fukuyama folgend, die träge blinzelnden "letzten Menschen" zu Taten echter Größe anzuleiten. Der Kampf gegen das Elend der Welt als Stimulanz gegen die Würdelosigkeit und Langeweile am "Ende der Geschichte": Die Menschenrechte als "letzte Utopie."

Ach ja, außerdem wollen sie, dass wir in Syrien einmarschieren.

Es ist vor allem das prinzipielle Eintreten für humanitäre Kriegseinsätze, das mich etwas misstrauisch macht. Kriege für die Menschlichkeit, hatten wir davon nicht genug in letzter Zeit? In Afghanisten, im Irak, in Lybien? Und vor allem: Wie oppositionell ist eine Gruppe, die außenpolitisch ähnliche Rezepte vertritt wie Wolfang Ischinger?

Um diese Fragen zu ergründen, hilft es, sich den Text über den "aggressiven Humanismus" anzusehen, der auf der Website des Zentrums wie eine Art Manifest präsentiert wird. Ausgangspunkt dieses Textes ist die Frage, warum Demokratien unfähig sind, "große" Menschenrechtler hervorzubringen. Mit dieser Fragestellung folgen sie unmittelbar Fukuyama, dessen Name ja allgemein mit dem Triumphgeheul der 90er über den angeblichen Endsieg der liberal-demokratischen Ordnung verbunden wird, der aber tatsächlich von großen zivilisationskritischen Ängsten getrieben wurde. Im Ende aller Utopien, der mit dem Ende der Geschichte zusammenfällt, liegt ebenso schon die Gefahr des Nihilismus. Das Ergebnis ist ein post-heroisches, langweiliges Zeitalter, dem jede idealistischen Energien fehlen. Nicht einmal der Kampf für Menschenrechte kann noch Menschen begeistern: "Wie ist das möglich," fragt das Manifest, "dass eine der größten Ideen der Menschheit in Deutschland derart blutleer, leidenschaftslos, langweilig und uninteressant geworden ist?" Es formuliert sich hier das Unbehagen daran, dass uns "letzten Menschen" nur noch ein kleines, unbedeutendes Leben beschieden ist. Wie glücklich ist dagegen der, dem eine Sache noch so viel bedeutet, dass der Kampf für sie ihn erfüllen kann! Und was könnte uns müde, satte Wohlstandszombies mehr erregen als die Empörung über ferne Verbrechen? Welche bessere Stimulanz, um unsere Malaise zu beenden, als ein neuer Kampf für den Schutz der Menschenrechte?

Die Ideologie des Zentrums für politische Schönheit erinnert damit an die Vordenker des amerikanischen Neokonservatismus, deren Namen von Leo Strauss und Allan Bloom bis hin zu Fukuyama im Manifest des "aggressiven Humanismus" alle fallen (eingerahmt von Herfried Münkler und Bernard Henri Lévy, um es noch schlimmer zu machen!). Den größten Einfluss hatten diese Denker, bis sie jetzt deutsche Menschenrechtsaktivisten inspirierten, vor allem auf die US-amerikanischen Vertreter einer aggressiven, ultra-imperialistischen Außenpolitik, die seit Reagan erstarkten und dann nach dem 11. September für einige kurze und katastrophale Jahre fast völlig die Kontrolle über die amerikanische Regierung übernahmen. 

Auch für diese Ideologen des "neuen amerikanischen Jahrhunderts", diese Romantiker des amerikansichen Imperialismus, stand die Frage nach "politischer Schönheit" im Vordergrund. Nur schlossen sie noch viel unmittelbarer den Kampf für Ideale wie Freiheit, Demokratie und die Verbreitung der Menschenrechte mit der Bereitschaft zum Krieg kurz. Für die Neokonservativen stellte sich - lange bevor sie den Irakkrieg anzettelten - die Frage, wie man den gewaltigen Militärapparat des amerikanischen Imperiums auch nach dem Kalten Krieg erhalten konnte. Wie schafft man es, ohne das Grundgerüst eines globalen Krieges gegen ein "böses Imperium", den permanenten Kriegszustand beizubehalten? Wie schafft man es, den globalen Sicherheitsapparat aus Armee und Geheimdienst nicht nur zu legitimieren, sondern ihn auch noch weiterhin mit positiven, heroischen Emotionen zu besetzen? Mit anderen Worten: Wie kann man die Sehnsucht nach "politischer Schönheit" in den Dienst des Krieges stellen?

Gemein mit den Neokonservativen ist dem Zentrum für politische Schönheit dann auch ein Unbehagen am selbstbezogenen Genießen unseres Wohlstandes. Die westliche Dekadenz nimmt uns die Fähigkeit, uns einer Sache zu widmen, die größer ist als wir. Zwar meinen Neokonservative damit vor allem die Wehrbereitschaft, aber strukturell ist die Argumentation vergleichbar. Das Zentrum schreibt etwa, mit Bezug auf Allan Bloom:
"[Die konventionellen Menschenrechtler] kämpfen nicht um Menschenrechte. Sie schlummern für sie. Und dies trotz der Tatsache, dass ihre Klientel — Hunderte von Millionen Menschen — in Elend sterben. Statt Streiks zu organisieren, Straßen zu blockieren, Politiker zu beschimpfen und Nachrichtensender zu besetzen, sind sie Teil jener Strandurlauber, die der amerikanische Philosoph Allan Bloom so unnachahmlich beschrieben hat: „Für mich ist es ein Symbol unserer derzeitigen geistigen Situation, wenn ich mich an die Wochenschauaufnahmen von fröhlich im Meerwasser planschenden Franzosen erinnere, die ihren bezahlten Jahresurlaub genossen, den Léon Blums Volksfrontregierung gesetzlich eingeführt hatte. Das war 1936, im selben Jahr, in dem man zuließ, daß Hitler das entmilitarisierte Rheinland wieder besetzte. All die großen Dinge, die uns bewegen, laufen letzten Endes auf so etwas wie diesen Urlaub hinaus.“ 
Es ist also die Dekadenz unserer satten Wohlfahrtsstaatengesellschaft, die uns gleichgültig und würdelos werden lässt und unsere Bereitschaft zum Kampf schwächt. (Wozu ich anmerken muss, dass sich meiner Meinung nach die eigentliche Dekadenz darin ausdrückt, für die politische Schönheit der Urlaubspolitik der Volksfrontsregierung nicht mehr empfänglich zu sein - es handelt sich dabei um einen der Höhepunkte der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.) Unser Staat ist hässlich und klein geworden und kreist bloß noch um die materiellen Belange einer abgestumpften Bevölkerung. Was wir brauchen, ist eine Berufung, eine Mission - etwas, was unserem Staat einen neuen Glanz verleihen kann:
Politik kann Politikverdrossenheit nur aufbrechen, wenn sie den Faktor politische Schönheit ernst nimmt und Entscheidungen und Taten daran ausrichtet. Machtzentren trocknen innerlich aus, wenn es nicht über politische Poesie nachdenken (Münkler 2009: 266). Die menschliche Seele braucht das Gefühl von Größe, Schönheit, Gerechtigkeit und Anstand. Diese epochalen Gefühle vermögen sich bei der Politisierung der Sozialversicherungs-, Renten- und Gesundheitssysteme nicht richtig einzustellen. Das könnte aber der globale Schutz der Menschenrechte leisten.
Nochmal wiederholt: Das könnte der globale Schutz der Menschenrechte leisten - er könnte unserem Staat eine neue Größe und Würde verleihen, indem er ihm ein Ziel gibt, das über das bloße Verwalten unserer Gesellschaft hinausweist. 

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich der Ansicht, dass das Zentrum für politische Schönheit keine Lösung für unsere politische Krise liefert, sondern im Gegenteil ein Ausdruck dieser Krise ist. Wenn man das Manifest liest, wird da ganz schön viel um uns selbst gekreist, um unsere Befindlichkeiten, unseren Nihilismus, etc. - das, was aber tatsächlich im Zentrum stehen sollte, die Verbrechen, die überall auf der Welt begangen werden, bleibt ziemlich im Schatten. Es spielt fast eine Nebenrolle. Der Text bietet weder eine Analyse der Weltlage oder unserer Herausforderungen in ihr, noch ein Hinweis auf die Weise, auf die unsere Gesellschaft komplizenhaft in ihre Grauen verstrickt ist. Er bietet auch keine politische Vision, keine Vorschläge für eine Neuausrichtung unserer Politik - außer: das wir helfen sollen. Wie? Auf welche Weise? Was ist das Ziel?

Nimmt man dann noch hinzu, dass das Zentrum für politische Schönheit prinzipiell militärische Lösungen zur Verhinderung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vertritt, aber an keiner Stelle darüber reflektiert, was die politischen Implikationen dieser Haltung sind und wessen Interessen man mit ihr unterstützt, welche Möglichkeiten man ausschließt, etc. dann ist das ein Problem. Im Universum des Zentrums für politische Schönheit gibt es weder Geopolitik noch eine Konkurrenz der Mächte - es gibt nur Verbrechen, und die Pflicht, zu handeln. Klingt irgendwie nach George Bush, oder?

Was mich stört an den Vertretern von "humanitären Interventionen" ist die Eingleisigkeit ihrer Argumentation: Du bist gegen den Krieg? Willst du etwa tatenlos zusehen, wie Assad die Zivilbevölkerung ermordet? Willst du dem Islamischen Staat nichts entgegensetzen? Glaubst du etwa nicht, dass Saddam Hussein ein Diktator war? Dass Gadaffi gestürtzt werden musste? Dass der Kommunismus ein verbrecherisches System ist? Und wo weiter und so fort.

Das humanitäre Argument beendet jede Diskussion. Es ist eine Pistole, die der Öffentlichkeit auf die Brust gesetzt wird. Die Kriegspartei will nicht, dass wir ihre Strategie grundlegend in Frage stellen, dass wir tiefgreifender überdenken, welche Außenpolitik wirklich den Frieden fördert und welche nicht. Sie will nicht, dass wir langfristig denken und uns der Geschichte der Konflikte bewusst werden. Der Kriegspartei gefallen wir verwirrt und manipulierbar, furchtvoll und ohne Bewusstsein langfristiger Zusammenhänge, gebannt auf die schrecklichen Bilder starrend, die jedes Zögern, jede Ambivalenz, jedes "Wegschauen" selbst zum Verbrechen machen.

Als im letzten Monat das fürchterliche Bild des aus Kobane stammenden Jungen um die Welt ging, der im Mittelmeer ertrunken war, was war der erste Reflex der Rupert-Murdoch-Presse? "Bomb Syria for Aylan!" Und das haben sie ja auch getan.


Was wir im Moment brauchen, sind gerade nicht neue Mittel der moralischen Erpressung, neue Katalysatoren der Medienhysterie, mit denen wir immer wieder neu dazu gebracht werden, uns der wachsenden Militarisierung unserer Außenpolitik zumindest nicht zu widersetzen. Was wir brauchen ist mehr Ehrlichkeit, mehr Transparenz in der Frage, was "der Westen" im Nahen Osten überhaupt erreichen will und welche Mittel uns dazu recht sind. Dabei hälfe uns eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Abgeklärtheit möglicherweise mehr als das Betroffenheitspathos des Zentrums für Politische Schönheit.

Die Diskussion sollte sich gerade nicht darum drehen, ob wir in Syrien gegen Assad intervenieren sollen, sondern ob es die richtige Strategie war, seit Jahren gegen ihn zu intervenieren. Und ob man den Kampf jetzt zu einem offenen Stellvertreterkrieg eskalieren lassen will.

Zum Abschluss will ich deshalb nur noch auf eine Meldung vom Juni aus der Washington Post verweisen, die bizarrerweise offenbar keine Resonanz in den deutschen Medien gefunden hat. Mit Bezug auf Dokumente, die Edward Snowden geleakt hat, ist es ihr nämlich zum ersten mal gelungen, genau den Umfang des CIA-Programmes in Syrien zum Zwecke des Sturzes Assads zu umreißen. 1 Milliarde Dollar jährlich, um eine militärische Infrastruktur im Hinterland zu organisieren, von dem indirekt selbst radikal-islamistische Milizen profitieren. Dazu die Unterstützung aller NATO-Geheimdienste, auch des deutschen. Dazu Waffen und Geld von unseren Verbündeten aus Arabien und der Türkei. Dazu Bombenangriffe auf den Islamischen Staat, und von Israel unmittelbar gegen Assad und Hezbollah. Ist das denn nicht Krieg genug? Oder ist er nicht schön genug?
 At $1 billion, Syria-related operations account for about $1 of every $15 in the CIA’s overall budget, judging by spending levels revealed in documents The Washington Post obtained from former U.S. intelligence contractor Edward Snowden.
 U.S. officials said the CIA has trained and equipped nearly 10,000 fighters sent into Syria over the past several years — meaning that the agency is spending roughly $100,000 per year for every anti-Assad rebel who has gone through the program.
 The CIA declined to comment on the program or its budget. But U.S. officials defended the scale of the expenditures, saying the money goes toward much more than salaries and weapons and is part of a broader, multibillion-dollar effort involving Saudi Arabia, Qatar and Turkey to bolster a coalition of militias known as the Southern Front of the Free Syrian Army.
 Much of the CIA’s money goes toward running secret training camps in Jordan, gathering intelligence to help guide the operations of agency-backed militias and managing a sprawling logistics network used to move fighters, ammunition and weapons into the country.
    [...]
 Opposition leaders in southern Syria, where the CIA-trained fighters are concentrated, said the groups have recently become better organized and more effective in their use of heavier weapons, including U.S.-made TOW antitank missiles.
    [..]
 Despite those gains south of Damascus, experts and officials said that the most significant pressure on Assad’s regime is in northern Syria, where the Islamic State is on the offensive. At the same time, a separate coalition of rebel groups known as the Army of Conquest has taken advantage of infusions of new weapons and cash from Saudi Arabia, Turkey and Qatar.

Donnerstag, 1. Oktober 2015

"With the Masters in Absolute Control": Warum es in Deutschland nach dem Krieg eine Kulturrevolution geben musste


Teil des sowjetischen Triumphdenkmals in Budapest
Als mir in Belgrad die Lektüre ausging, habe ich bei einigen ziemlich ärmlichen Straßenhändlern einen Großteil ihres englischsprachigen Sortiments aufgekauft - was nicht schwer war, denn auf Englisch hatten sie fast nichts. Vielleicht weil ich gerade Arno Meyers geniales und provokantes Buch über den Holocaust gelesen hatte, vielleicht weil ich im Graben irgendeines Schlosses im Zentrum Belgrads gerade auf eine Präsentation von Dutzenden alter Weltkriegspanzer und Artilleriegeschützen gestoßen war (die Flak sah im Abendlicht am unheimlichsten aus, wie ein Alienroboter aus Krieg der Welten, die Panzer waren zu klein und spielzeughaft, eher klaustrophobisch als bedrohlich), vielleicht auch weil mir bei den Straßenhändlern zunächst das Cover von General Guderians Erinnerungen an den Panzerkrieg ins Auge gefallen war (leider auf russisch!) - jedenfalls entschied ich mich für ein Buch eines britischen Militärhistorikers über den Werwolf-SS-Widerstand.

Das Buch von Charles Whiting ist im Grunde eine true crime novel über die Ermordung des ersten Bürgermeisters des befreiten Aachen, Franz Oppenhoff. Aachen war die erste deutsche Stadt, die den Amerikanern in die Hände fiel, überhaupt die erste deutsche Stadt, die seit über Hundert Jahren von ausländischen Armeen besetzt wurde. Nach einem endlosen, sinnlosen Verteidigungskampf, der die Stadt fast gänzlich zerstörte, versuchten beide Seiten auf ihre Weise am Beispiel Aachen, auch der Propaganda wegen, ein Exempel zu statuieren. Die Amerikaner taten dies, indem sie möglichst rasch eine deutsche Zivilverwaltung einrichteten, um zu zeigen, dass Deutschland unter ihrer Besatzung eine Zukunft haben würde. Die Deutschen hingegen drohten gerade diesen "Kollaborateuren" noch in den letzten Kriegsmonaten und von hinter der Front mit dem Tod. 

Die Drohung wahr machen sollte ein "Werwolf"-SS-Kommando, welches per Fallschirm im belgisch-holländischem Grenzgebiet abgesetzt wurde. Am 25. März 1945 wurde Franz Oppenhoff ermordet - er endete tatsächlich "wie Rathenau", wie er es schon bei seinem Amtsantritt befürchtet hatte.

Franz Oppenhoff war eine interessante Figur. Aufgrund seiner katholischen Überzeugung hatte er sich immer geweigert, der NSDAP beizutreten, was gerade in seinem Beruf - er war Anwalt - seiner Karriere nur schaden konnte. Zunächst verteidigte er vor allem Priester und katholische Orden gegen nationalsozialistische Willkür, aber schließlich übernahm er auch das Mandat vieler verfolgter Juden, vor allem bei Fällen illegaler Enteignung. 

Gerade auch weil die Amerikaner ihm vertrauten, könnte man jetzt erwarten, es handele sich bei ihm um einen 'lupenreinen Demokraten', einen Vertreter 'westlicher Werte', etc. Die Wirklichkeit sah anders aus:
"Since the war Franz Oppenhoff has been celebrated in his home town as a democrat, an ideal to be held up to the rest of the nation for emulation. Yet it is hard to believe that he was what an Anglo-Saxon would understand by 'democrat'. He was more a representative of his class, his religion and his time. 
Capt Saul Padover, an American professor of history (who was admittedly prejudiced), interviewed the new Chief Burgomaster just after his appointment. The sykewar officer attached to Bradley's 12th Army Group geve this picture of the German. 'On soical and economic subjects Oppenhoff was candid to the point of bluntness. I am not sure that he understood the implication of his ideas, or that Americans might view them with distrust as being aggressively anti-democratic, but at any rate he was not a practitioner of the art of concealment. 'The whole nation,'  he said, 'can be divided into two categories, those who obey and those who command. Most Germans are afflicted with the sicknes of Kadavergehorsamkeit, obeying any order like robots, even against their innermost convictions. At the same time these cadaver-obeyers are full of suspicion against each other and hatred for those in authority. This disease, compounded of servile obedience and blind hate, explains Germany's class conflicts and the existence of forty political parties, which, before Hitler destroyed them all, were constantly at each other's throats. I can only hope and pray that the Americans are not going to be foolish enough to permit Germany to have political parties. Heaven help us if parties are allowed to exist. Dann ist alles aus.''
'As a substitute for political parties, he favoured an authoritarian (but not totalitarian, a distinction without a difference) social structure, not unlike that of Mussolini, Franco, Pétain and such like. He wanted to see the establishment of a labour economy consisting of skilled artisans and divided into masters and apprentices, with the masters in absolute control. Workers were to be placed in fixed categories, without any right to political action or economic demands. No political organization of any kind was to be permitted. No trade unions were to be tolerated. Oppenhoff spoke with impassioned eloquence: 'I want to see a small-scale industry organized on paternalistic lines. An employer must have responsibility for his workers, as if they were members of his own family. If we set up such a system we would never have any need for agitations, votings or elections. This is my idea of democracy, true democracy.'"
Das also war der erste Bürgermeister einer befreiten deutschen Stadt nach dem Krieg. Viel interessanter als den Antiparlamentarismus finde ich dabei, dass er offenbar der Ansicht gewesen ist, die Organisation der Arbeitsverhältnisse sei die zentrale Stütze einer jeden Gesellschaftsform: So wie der Chef seine Arbeiter, so würde dann auch die Regierung die Gesellschaft im Griff haben. Bei Politik, vor allem bei rechter Politik, geht es immer um die Kontrolle ganz konkreter Personen in ganz konkreten Umständen. Vorlieben für bestimmte politische "Systeme" erwachsen daraus erst. Für Oppenhoff stand die Organisation der Arbeit absolut im Vordergrund - dass Männer ihre Familie im Griff haben sollen, stand für ihn offenbar nicht einmal in Frage.

(Witzig finde ich auch, dass er die heuchlerische Distinktion zwischen authoritären und totalitären Regierungen schon kennt - ich dachte immer, die sei erst im Kalten Krieg erfunden worden.)