Vor einigen Tagen dachte ich noch, ich müsse mich zur Erklärung meines Unbehagens an der pro-militärischen Ideologie des Zentrums für politische Schönheit noch mühsam durch eines ihrer Manifeste arbeiten und ihren intellektuellen Bezügen nachgehen. Ich hatte zwar schon Interviews mit Philip Ruch gelesen, in denen er zur Intervention in Syrien aufrief, und ich kannte auch schon sein 'Erweckungserlebnis Sebrenica', aber irgendwie war ich immer noch der Ansicht, bei seinem Militarismus handele es sich vor allem um eine Nebenerscheinung seiner - für mich zumindest - bizarren politisch-philosophischen Ansichten. Auch dachte ich, seine unkritische Unterstützung militärischer Interventionen im Namen der Menschenrechte wurzele vielleicht in einem gewissen politischen Unernst oder auch in Naivität - als habe er eben die letzten 20 Jahre damit verbracht hat, Aristoteles zu lesen, anstatt Nachrichten zu schauen.
Jetzt aber gab Philip Ruch der Frankfurter Rundschau ein Interview, das keine Fragen mehr offen lässt. Er wiederholt nicht nur die Forderung nach einem militärischen Einschreiten in Syrien, spezifisch gegen den kürzlichen russischen "Angriffskrieg", er bemüht auch das älteste Klischee aller alarmistischen Kriegstreiber, nämlich den Vergleich mit der appeasement-Politik Chamberlains im Angesicht von Hitler, um zum Widerstand und zu größerer Härte gegen Putin aufzurufen. Dessen erklärtes Ziel sei es nämlich, da ist sich Ruch sicher, "Europa zu destabilisieren." Finster fügt er hinzu: "Viele werden aufwachen, wenn es zu spät ist."
Die ganze Passage:
"Unser Nichts-Tun ist der wesentliche Faktor im Krieg in Syrien. Fassbomben und IS sind das direkte Produkt unserer Untätigkeit. Wo ist der Aufschrei zum russischen Angriffskrieg auf den Widerstand gegen einen der übelsten Diktatoren? Dass wir zuschauen, wie Russland sich die Krim schnappt, war das Signal für Putin, überhaupt in die Ukraine einzumarschieren. Churchill sagte 1938 über Chamberlain: Sie hatten die Wahl zwischen Krieg und Schande. Sie wählten die Schande. Und den Krieg werden sie jetzt auch noch bekommen.Was wäre bei der Krim richtig gewesen?Putin hat den erklärten Willen, Europa zu destabilisieren. Viele werden aufwachen, wenn es zu spät ist. Man hätte niemals zur Tagesordnung übergehen dürfen, als die ersten Meldungen verkleideter russischer Kampfverbände auf ukrainischem Territorium kamen. Der Westen ist blamiert. Das Signal, dass uns die Ukraine gleichgültig ist, war unüberhörbar. An Srebrenica lässt sich erkennen, wie Völkermord funktioniert. Im Juli 1995 wurden dort 8372 Bosnier ermordet. Blauhelmsoldaten standen daneben und intervenierten nicht. Im Gegenteil, sie haben die Männer noch von ihren Frauen getrennt und an die feindlichen Truppen ausgeliefert. Ratko Mladic hatte ganze vier Panzer losgeschickt, um zu erfahren, was der Westen zu tun gedenkt. Dazu muss man wissen: Es gibt nur eine einzige Straße, die nach Srebrenica führt. Man hätten nur diese Straße verteidigen müssen, um 40 000 Zivilisten in der ersten „Schutzzone“ der Vereinten Nationen wirksam zu beschützen und 8372 Menschen das Leben zu retten. Das Grauen von Srebrenica hätte mit der Bombardierung dieser vier Panzer in dieser Form niemals stattfinden können"
Ich möchte wirklich nicht die russische Aggression verharmlosen, oder die Natur der russischen Regierung. Aber gerade Ruchs unmittelbares Überschwenken vom Krieg in der Ukraine zu seinem offenbar ultimativen historischen Bezugspunkt, dem Massaker in Sebrenica, zeigt deutlich, dass es ihm hier weniger um Menschenrechte geht, als darum, sie opportunistisch in den Dienst einer Apologetik einer härteren, aggressiveren und unnachgiebigeren Haltung 'des Westens' gegen seine Feinde zu stellen. Oder was soll dieser Vergleich sonst? Sebrenica? Im ganzen Ukrainekrieg sind nicht so viele Menschen gestorben! Geht es nicht auch eine Nummer kleiner?
Auch könnte nichts falscher sein, als die Behauptung, wir seien in Syrien "untätig." Das mag zwar für die Bundesrepublik zutreffen, aber bis vor kurzem war Russland fast das einzige Land mit einer größeren Luftwaffe, das dort keine Bomben geworfen hat. 'Der Westen' unterhält dort seit Jahren gemeinsam mit seinen verachtenswerten Verbündeten aus Arabien, sowie aus der Türkei (und auch Israel) sehr aufwendig eine Stellvertreterarmee und lässt mehr oder minder offen al-Quaida für sich kämpfen. Ich wiederhole auch noch einmal meine Hinweis aus dem letzten Post: Dank der Washington Post kann man mittlerweile zumindest das Budget der CIA für Einsätze in Syrien mit ca. $1 Milliarde jährlich bis vor kurzem beziffern. Das war aber nur ein Teil der Ressourcen, der Waffen und des Geldes, die seit Jahren den Krieg anheizen. Und immer schon, von Anfang an, hat man in Kauf genommen, radikale Islamisten zu stärken, solange diese nur auf der richtigen Seite stehen.
All das kann man finden, wie man will, man kann es ablehnen oder man kann man es als gerechtfertigt ansehen, weil es dem Kampf gegen Assad, "einen der übelsten Diktatoren" (Ruch) dient - aber man darf es nicht leugnen und behaupten, wir seien in Syrien untätig.
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