Communism

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Samstag, 24. Oktober 2015

Lügenpresse! Oder: Warum ich mich erschießen werde, wenn niemand außer RT mir einen Job gibt.


Man kann durchaus empfänglich für diese Minstrel-Performance eines freundlichen korporativen Staates sein. Für die Vorstellung, dass wir in der Deutschland AG alle an einem Strang ziehen und von einer soliden Elite in weiser Vorraussicht geführt werden. Gerade in einer sich globalisierenden Welt hat der Gedanke einer nationalen (wenn’s sein muss, sogar ein bisschen korrupten!) Wirtschafts- und Machtelite auch etwas beruhigendes – ist nicht das wunderbare an „Seilschaften“, dass sie nicht so anonym sind wie der Aktienmarkt?
So schrieb ich über meinen fast schon ein Jahr zurückliegenden Besuch bei der ersten AGENDA-Konferenz des Tagesspiegels. Worum es sich dabei handelt und was ich dort erlebt habe, kann man meinem Bericht auf le bohémien entnehmen, einer überhaupt sehr guten Website voller interessanter politischer Artikel.

Auch ein Leserkommentar wurde dort hinterlassen, der mich allerdings etwas deprimiert: "Danke für den Bericht zu dieser Veranstaltung", lautet er. "Ich lese als Quintessenz: Der Tagesspiegel gehört zu Lügenpresse und dient sich als Medienhure an." 

Ist das schon "Beifall aus der falschen Ecke", den ich da gekriegt habe? Es wäre nicht das erste mal: Schon als ich vor einigen Wochen einen ZEIT-Artikel kritisierte, welcher die russische Regierung angriff, wurde mein Artikel auf einigen Blogs gepostet und verlinkt, die - sagen wir es mal so - in etwas unseriösem Habitus eine Kritik des westliche Establishments und der entsprechenden Medien formulieren - und das mit einer ungesunden Intenstiät und Ausdauer. Nicht unbedingt Rechte, denke ich (habe das nur kurz überflogen), aber trotzdem ein ziemlich düsterer Teil des Internets, voller Wut, Frustration und Empörung - voller Begriffe wie "Medienhure" eben.

Es ist ein großes Dilemma, das ich immer empfinde, wenn ich etwas "Medienkritisches", "Anti-imperialistisches", "Kapitalismuskritisches" oder sogar "Anti-amerikanisches" schreibe, ein Dilemma, dem man sich selbstkritisch stellen muss: Wo gibt es in dem, was ich sage, Berührungspunkte mit dem anderen Modus der Dissidenz gegen den Zeitgeist, der heute im Aufschwung ist, nämlich mit den Rechten und den Verschwörungstheoretikern? 

Manchmal glaube ich, die Front National ist die echte Avantgarde unserer Zeit. In ganz Europa, in den USA schon lange, gibt es diese neuen rechten Bewegungen, die ihre Energie auch aus einer anti-neoliberalen, verzerrten Kapitalismuskritik beziehen: Früher, vor der Globalisierung und der ganzen Einwanderung, hat unsere Demokratie noch funktioniert, sagen sie, aber jetzt wurde uns unsere Souveränität von internationalistischen (Finanz-)mächten geraubt. Im besten Falle meint man damit dann den real existierenden globalen Kapitalismus und seine Institutionen - im schlimmsten Fall die Amerikanische Ostküste, Codewort für du-weißt-schon-wen.

Auf der anderen Seite sollte man sich als Linker aber auch nicht von solchen leeren Kampfbegriffen wie "Populismus" erpressen lassen - als sei alles, was nicht dem liberalen Mainstream entspricht, allein einem ungesunden, ressentimentgeladenen Irrationalismus entsprungen. Andererseits: Gäbe es noch eine selbstbewusste und breit aufgestellte antikapitalistische Linke, die stolz auf ihre emanzipatorische Tradition ist, anstatt sich in bitterer Selbstkritik und in Rückzugsgefechten zu zerreiben, ließe sich das leichter sagen. Uns fehlt eine seriöse, organisierte, radikale Gegenöffentlichkeit - was wir stattdessen haben sind akademische Ghettos, szenige Bedeutungslosigkeit und einen Haufen isolierter, orientierungsloser Menschen mit Internetzugang. Und dann, als bescheuerten Luftzug im Vakuum, eben so was: 


Vielleicht auch aus persönlichen Gründen, weil ich mich von 90% des medialen und politischen Establishments ziemlich entfremdet fühle, aber irgendwann wahrscheinlich doch einen Job brauchen werde, habe ich ein geradezu körperliches Unbehagen im Angesicht von verschwörungstheoretischem Vokabular. Gerade weil ich einige Ansichten habe, die dem Konsens unserer Zeit oft widersprechen, gerade deshalb wird mir schlecht, wirklich schlecht, wenn ähnliche Ansichten auf dumme, unsachliche, oder hetzerische Weise vertreten werden.

In meinem Studium habe ich mich zum Beispiel ausgiebig mit der amerikanischen Außenpolitik während und nach dem Kalten Krieg beschäftigt, die ja in Deutschland zwar von vielen sehr kritisch gesehen wird, aber nur von wenigen - und da eben oft den falschen - ganz grundlegend in Frage gestellt wird. Ein großer Dienst, den eine aufgeklärte, radikale Kritik an der amerikanischen Außenpolitik der Öffentlichkeit gegenüber leisten kann, läge darin, eine Analyse der scheinbaren Irrationalitäten und Verbrechen dieser Politik zu liefern, die diese, und die Welt insgesamt, auch wirklich verständlicher macht. Eine Analyse, die nicht dämonisiert und von schattenhaften Mächten redet, sondern die Hintergründe beleuchtet und komplexe Ursachen benennt - und dann eben auch Auswege kennt. Und die trotzdem nichts an ihrer Radikalität einbüßt: Aufklärende, radikale Kritik - wie Marx über den Kapitalimus. Früher war so ein (mal mehr, mal weniger differenzierter) Antiimperialismus, der sicher auch seine Probleme hatte, noch eher Teil der Öffentlichkeit - aber heute fehlt da etwas. Es fehlt ganz insgesamt ein politisches Vokabular, das die neoliberale Hegemonie in Frage stellt und uns helfen könnte, uns in der Gegenwart zurecht zu finden. Ein Vokabular etwa, dass es uns erlauben würde, ideologische Hegemonie zu beschreiben, ohne in Unterdrückungsfantasien a lá "mediale Gleichschaltung" oder eben "Lügenpresse" zu verfallen. Und diese Lücke füllen eben rechte Idioten. Die haben keine Hemmungen.  

Nebenbei gesagt halte ich die grassierende Faszination für "Lügen", "versteckte Wahrheiten" oder "Verschwörungen" auch für ein Zeichen unserer Entpolitisierung. Nur Menschen, denen das Gespür dafür verloren gegangen ist, dass es grundsätzlich verschiedene gesellschaftliche Interessen und antagonistische, sich gegenseitig ausschließende politische Positionen und Weltsichten gibt, und dass es ganz normal und gesund ist, dass man sich entlang dieser Linien bekämpft, nur solche Menschen brauchen so fantasievolle Erklärungen dafür, dass die Welt und die Regierung nicht so will, wie sie das wollen. Und wo es keine grundsätzlichen ideologischen Diskussionen mehr gibt, da wird dieses Bedürfnis der Auseinandersetzung auf bestimmte Ereignisse projiziert, um die man sich stattdessen bitter und endlos streiten kann. Anstatt also bittere und endlose Diskussionen über weltanschauliche Fragen, wie es auch gut und notwendig ist, gibt es dann bittere und endlose Diskussionen über die Anthraxbriefe und die Bilderbergkonferenz, was zu nichts führen kann.

So viel zur Kritik der Gegenöffentlichkeit. Um die Öffentlichkeit selbst, das muss auch gesagt werden, steht es allerdings auch nicht besser (s. etwa mein Artikel über den Tagesspiegel.) Deshalb will ich zum Schluss noch diesen faszinierenden Artikel aus der New York Times empfehlen, welcher der Frage nachgeht, welche journalistischen und kulturindustriellen Mechanismen eigentlich die "story" der Tötung von Osama bin Laden für die Öffentlichkeit produziert haben - und was wir wirklich darüber wissen (können), was damals geschehen ist. Es ist eine sehr spannende Geschichte, die einiges über unsere heutige Medienlandschaft verrät, über diese merkwürdige Dialektik aus - technologisch bedingtem - unfassbar direktem und hautnahen Zugriff auf mediale Ereignisse und dem sich trotzdem verbreitenden Unbehagen an einer brüchigen, aufgesplitterten Öffentlichkeit, der man nicht mehr zu trauen wagt. 

Angeblich, das wurde auf der ganzen Welt verbreitet, hat nämlich der Präsident und sein Stab den Überfall auf die Villa bin Ladens per live stream (!) verfolgt. Und das Videomaterial sollen Kameras geliefert haben, die auf die Helme der Navy Seals montiert waren, die also das ganze live und in Ego-Shooter-Perspektive nach Washington übertragen haben. Natürlich stimmt das nicht, aber allein schon die Vorstellung, und die Tatsache, dass diese Information verbreitet wurde... 

Die Wut, die einem aus den Kommentarspalten unserer Zeitungen entgegenschlägt, rührt sie nicht auch daher, dass wir dank des Internets an allen Ereignissen unmittelbar und persönlich beteiligt sind - und dann doch irgendwie ausgeschlossen? Das Internet gibt uns die Illusion, wir seien mehr als Statisten des Weltgeschehens, sondern wirklich an ihm beteiligt. Die Illusion, dass wir auch abseits etablierter Medienbürokratien mitreden können. Und die Wut, sie rührt daher, dass wir uns daran erinnern, dass wir doch nur zum Publikum gehören.

Hier ist ein russisches Propagandavideo aus Syrien. Ist das jetzt ultrarealistisch oder schon Computerspiel?


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