Communism

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Dienstag, 30. Juni 2015

Griechenland: Alles ging nach Plan

Es gibt Momente, da hilft es, die Marxistenkappe aufzusetzen. Nur um mal den Kopf frei zu kriegen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Achtsamkeit üben.

Ich habe die letzten drei Nächte vor dem Computer verbracht - offiziell auf Nachtschicht, tatsächlich aber angespannt die liveblogs etlicher Zeitungen verfolgend. Für den Außenstehenden ist da viel Nervenkitzel dabei. Es ist ziemlich interessant, so einer Krise in Echtzeit beizuwohnen und zu beobachten, wie alle Seiten, Politiker und Journalisten, gezwungen sind, zu improvisieren. Es ist auch aufregend, dass endlich die lähmende Ruhe der letzten Jahre wieder einmal aufgebrochen ist, und die wichtigen Fragen, welche Europas Zukunft entscheiden werden, mit der angemessenen Intensität gestellt werden. Und natürlich ist da auch noch die pure Sensationsgier.

Ich könnte es auch fast verstehen, wollte man der griechische Regierung einen ähnlichen Vorwurf des mangelnden Ernstes machen: dass sie nämlich aus einer Art politischen Nihilismus heraus zu einer Entscheidung und Klärung drängt und dafür auch ein erneutes Absacken des griechischen Lebensstandards als Risiko einkalkuliert. Yves Smith, deren extrem gut informierte, schonungslose Analyse mir in den letzten Tagen die Stimmung verdarb, beschreibt das Referendum sogar als ein hilfloses Manöver, geboren aus taktischer Schwäche. Offenbar habe Syriza die Härte und Unflexibilität der Institutionen unterschätzt, keinen Plan B vorbereitet, und werde nun – das ist meine Vorahnung – in den nächsten Tagen gnadenlos zerquetscht. In der aktuellen Situation aber hätte eine "Verständigung" immer eine Niederlage bedeutet - die aktuelle Eskalation bietet dann vielleicht die einzige, verzweifelte Aussicht auf etwas wie einen Sieg.

Man sagt immer, die Mächtigen benutzen eine "Krisenrethorik," um die Bevölkerung einzuschüchtern und ihnen Opfer und Kürzungen abzuverlangen. Noch schlimmer ist aber vielleicht die Normalitätsrethorik: Alles wird gut, sagt uns diese, alles geht nach Plan - was macht das schon, wenn die halbe Jugend Südeuropas arbeitslos ist, wenn aus einem verlorenen Jahrzehnt ein halbes Jahrhundert zu werden droht, wenn es immer noch keine Aussicht auf eine Überwindung der Rezession gibt? Arbeiten nicht alle "Partner" "konstruktiv" an einer "Lösung"? Haben wir nicht ökonometrische Modelle aus Washingtoner Think-Tanks, die beweisen, dass wir auf einem guten Weg sind? Und überhaupt, haben wir nicht die Vermögen durch die Krise hindruch gerettet, war es das nicht alles wert? Also bitte, zieh einfach zu deinen Eltern, wenn du keinen Job findest, und sei ruhig. Misch dich nicht in die Politik ein, überlass das den Profis. Wie ein guter Sowjetbürger:


Die versammelten europäischen Regierungen hatten Griechenland nichts anzubieten als weiteres Elend, seit Jahren schon. Der Anschein der Normalität, der auf jeder Pressekonferenz verbreitet wurde, allein schon dem „Investitionsklima“ wegen, musste deshalb der Feind der neuen Regierung sein. Normalität ist, dass das Kapital sich darauf verlassen kann, dass ohne großes Aufsehen seine Interessen gewahrt bleiben. Normalität ist, dass Banken gerettet werden, auch wenn man dafür den Sozialstaat, der ja gar nicht Ursache der Krise war, in halb Europa aushöhlen muss. Normalität ist, dass Griechenland sich einem weiteren schädlichen "Reformpaket" unterwirft.
Will man aber im Namen derer sich durchsetzen, deren Meinung zum Investitionsklima keine Regierung der Welt interessiert, weil sie nichts besitzen, und die keine natürliche Lobby in Brüssel oder Berlin haben, dann ist es vor allem nötig, diesen Anschein der Normalität und der Konfliktlosigkeit zu durchbrechen. "I welcome their hatred..."

Dass es längst nicht mehr um wirtschaftliche Erwägungen geht, sondern um einen Machtkampf, hat selbst Joseph Stiglitz erklärt: "European leaders are finally beginning to reveal the true nature of the ongoing debt dispute, and the answer is not pleasant: it is about power and democracy much more than money and economics." Beide Seiten berufen sich zwar gerade auf Prinzipien, die man nicht aufgeben könne, die Prinzipien des ordoliberalen Sadismus auf der einen Seite, die der griechischen Souveränität auf der anderen - aber beide Seiten meinen damit vor allem die Notwendigkeit, keine Schwäche zu zeigen, sondern auf seinem Recht und seiner Macht zu bestehen. In dieser Atmosphäre müssen alle verwirrten Appelle aus Amerika, doch endlich zur Vernunft zu kommen und Griechenland ein zukunftsfähiges Angebot zu machen, verhallen - wie sich ja auch schon seit Jahren die linksliberale Austeritätskritik (a la Paul Krugman) mit wachsendem Entsetzen den Mund fusselig reden konnte, ohne auch nur den Hauch eines Selbstzweifels bei den europäischen Eliten zu wecken. Falls Varoufakis ernsthaft die Hoffnung gehabt hatte, die europäische Öffentlichkeit nur durch Argumente zur makroökonomischen Vernunft zu bringen, dürfte er das mittlerweile aufgegeben haben - seine Kollegen zumindest haben angeblich immer sehr feindselig auf seine "Vorträge" reagiert.

Woher stammt aber dann dieses verbohrte Festhalten an der gescheiterten Sparpolitik? Diese Frage umtreibt auch Heiner Flassbeck, der sich in einem interessanten Artikel im letzten Jahr die Frage stellte, warum in Deutschland die angebotsorientiere Neoklassik zu 100% den Diskurs beherrscht. Er schreibt:
"Wie erklärt man das? Das ist sicher keine Konspiration. Die haben nicht miteinander telefoniert und sich abgesprochen, dass weder Nachfrage noch Löhne vorkommen dürfen. Es ist vielmehr ein stillschweigendes Übereinkommen, dass man..."
...dass man Klassensolidarität übt? dass man in Austeritätspolitik das perfekte Mittel gefunden hat, Macht und Stellung des Kapitals zu festigen? dass der Verweis auf wirtschaftliche Zwänge das einzige, heute noch akzeptierte Mittel für eine anti-demokratische Politik ist?
Es ist ein vielversprechender Anfang von Flassbeck, ein gutes Bild: Solidarität der oberen Schichten als "stillschweigendes Übereinkommen", so natürlich erscheinend, dass man es kaum noch bemerkt. Aber leider geht es anders weiter: Das neoliberale Meinungskartell sei...
"...ein stillschweigendes Übereinkommen, dass man den anderen, denen, die über Nachfrage und Löhne reden, keinen Millimeter entgegenkommen darf. Nach dem Motto „wer sich bewegt, verliert“ verharren sie starr in ihren Positionen, auch wenn die empirische Evidenz (wie wir hier erst heute wieder gezeigt haben) eindeutig und vollkommen klar ist."
Das ist also die Verschwörung! Die Neoklassiker-Gang ist es nur, welche die links angehauchten Keynesianer von ihrer turf (der deutschen Öffentlichkeit) fern halten will. Der zentrale gesellschaftliche Konflikt wird also zwischen verfeindeten Ökonomen-Cliquen ausgetragen.

Das ist das Elend des Linkskeynesianismus heute - dass er letztlich der herrschenden Klasse einfach nur Irrationalität vorwerfen kann, weil sie sich weigert, kurzfristig eine Ankurbelung der Wirtschaft zu finanzieren, von der sie selbst langfristig profitieren würde. So zum Beispiel der amerikanische Ökonom Mark Blyth, dessen Buch "Austerity - The History of a Dangerous Idea" sehr zu empfehlen ist (das Buch der Stunde - seit 6 Jahren!). Er kann zwar überzeugend argumentieren, dass Austeritätspolitik nur dazu dienen kann, Vermögen zu sichern, die Ursachen der Krise aber sogar noch verschlimmert. Er beschreibt auch sehr gut, wie das Austeritätsdenken aus einer gefährlichen Mischung aus guter alter marktliberaler Staatsfeindlichtkeit und der antidemokratischen Politik des Rechtsruckes der 70er und 80er neu erstand - aber als Fazit bleibt nach wie vor nur die Aussage, Austeritäts sei eine "falsche", gefährliche", "schädliche" "Idee."

Erst als er 20014, zwei Jahre nach Erscheinen seines Buches, ein neues Nachwort verfasste, fühlte er sich - offenbar angesichts des desaströsen Verlaufs der "Eurokrise" - genötigt, noch etwas hinzuzufügen. Auf die umständliche, verschüchterte Weise eines Professors beschreibt er endlich explizit, was selbst dem letzten dreadlockbewährten Blockupydemonstranten längst klar war, dass nämlich Austeritätspolitik Klassenkampf bedeutet:
"Given today's rising inequality in the industrialized countries, "it's propably reasonable [...] to say then that the top 30 percent of the income distribution of these societies earns the vast majority of income and owns most of the assets of these countries.
[...]when you bail out a bank or a bankig system, you are not just bailing the bankers. You are bailing the savers, the pensions, the mortgages, the derivatives written on these loans and annuities [...] So when governments bail banks they are simultaneously bailing the assets and incomes of the top 30 percent of the income distribution.
So think of bailouts as a put option exercisable by the top 30 percent on the bottom 70 percent of the income distribution. When the top 30 percent, people like me and (possibly) you, get our assets bailed and public debt balloons as a consequence; the cost of excercising the put-option is paid for by people who don't have many such assets and rely on government spending and public goods, but that's what gets cut. The poorest segment of society is forced to pay out on an insurance policy that they never agreed to guarantee, and for which they never received a single insurance premium from the holders of the bailed (i.e. insured) assets. This is why austerity is best thought of as a class-specific put-option. It's free asset insurance for the top end of the income distribution, those who also just happen to be the people that vote most and fund elections. That in the long run this individually rational action will prove collectively disastrous for the top end too is a cost not internalized in the option's price. But it is one that we all have to pay the longer austerity continues."
Da ist es. Austeritätspolitik ist nicht "falsch" - das ist eine Frage der Perspektive. Für einige sieht sie sehr, sehr richtig aus. Mit dem Abbruch der Verhandlungen hat Syriza vielleicht einen großen taktischen Fehler begangen, wenn es darum geht, eine "konstruktive" Lösung zu finden. Aber wir sollten der griechischen Regierung trotzdem dankbar sein, dass sie uns daran erinnert, dass gewisse wirtschaftspolitische Fragen grundsätzlich nicht einvernehmlich gelöst werden können. Man kann sich um einen Ausgleich bemühen, Kompromisse schließen, möglichst große Teile der Bevölkerung am Reichtum beteiligen und damit für das System einnehmen. Das ist vielleicht die beste Lösung, so machen das mehr oder minder alle demokratischen Staaten. Aber kämpfen muss man immer.
"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen."

2 Kommentare:

  1. Ich darf zitieren: "Da ist es."
    Sehr feine Darlegung, danke!

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  2. Danke Danke!
    Hier ist übrigens noch mal Mark Blyth ganz aktuell: https://www.foreignaffairs.com/articles/greece/2015-07-07/pain-athens

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