Communism

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Donnerstag, 23. April 2015

Postscript zum Begriff 'community'

„Opportunity, Responsibility, Community, and National Security.“
So lauten die Schlagworte des Programmes der New Democrats von 1992. Im vorherigen Beitrag habe ich den Begriff Community etwas leichtfertig abgetan, auch weil es etwas kompliziert ist, zu beschreiben, wofür er steht. Die Tatsache aber, dass er (genauso wie der Begriff „families“ als Synonym für die 'normale Bevölkerung') immer und immer wieder bemüht wird, macht aber klar, dass er wichtig ist. Was sagt man also, wenn man 'community' sagt? 
 
Als erstes sind communities sehr kleine Gemeinschaften, wirklich eher „Nachbarschaften“ als Städte. Will man also die communities stärken, wie das Hillary Clinton verspricht, dann sucht man Lösungen auf der Mikro- statt der Makroebene und gleichzeitig beschränkt man Solidarität auf seine Umgebung, eben auf Menschen wie sich. Wie das funktioniert, zeigt das Beispiel Detroit: Dort ist eine völlig verelendete Stadt umgeben von enorm reichen Vororten – und weil etwa das Schulsystem vor allem durch lokale Eigentumststeuern finanziert werden, haben diese Vororte eine gute Infrastruktur, während die Stadt völlig verfällt. Weil gute Schulen in reichen Gegenden stehen, und Häuserpreise – oft das einzige (spekulative) Vermögen der meisten Menschen – unter anderem auch von der Qualität der Schulen abhängen, haben alle Bewohner einer reichen community ökonomische Anreize die Isolierung zum Rest der Welt noch zu verstärken – also im Grunde, ihren Reichtum für sich zu behalten.

Communities sind aber nicht nur geographisch, sondern auch geformt durch ethnische und kulturelle Identität. Das ist ein sehr weites Feld, aber auch hier lässt sich beobachten, dass diese Sichtweise dazu führen kann, soziale Probleme als isolierte Folgen des Verhaltens und der Verfasstheit bestimmter Bevölkerungsgruppen sich vorzustellen: Selbst wenn man das in aufgeklärter Weise tut, also für die Armut der Afro-Amerikaner eine Geschichte der Ausgrenzung, etc. verantwortlich macht, kann sich der Gedanke aufdrängen, die Lösung seien auch innerhalb der community zu suchen, anstatt in einer Umwandlung der gesamten Verhältnisse. 
 
In einer kürzlichen Zeitungsmeldung aus Ohio wird das Ganze eindrucksvoll vorgeführt. Es ist eine grauenhafte Geschichte und eine, die sich vermutlich gerade in Südeuropa auf ähnliche Weise fast regelmäßig abspielt: Ein von chronischen Krankheiten geplagtes Ehepaar hatte offenbar aus diesem Grund ihre Arbeit verloren und war auf diese Weise langsam und unbemerkt immer mehr verarmt. Jetzt hatten sie zwar neue Arbeit gefunden, aber nicht genug Geld, um die Zwischenzeit zum ersten Gehalt zu überbrücken: Wasser und Heizung waren abgestellt, ihre Wohung gekündigt, und auch die Arbeit würden sie wohl weider verlieren, weil es ihnen an Geld fürs Benzin fehlte. Auf gofundme.com findet sich eine verzweifelte Bitte um Hilfe, aber auch das brachte keine Reaktion, so dass sie sich schließlich entschlossen, Selbstmord zu begehen. Nur ihre Katzen hatten sie fürsorglich ausgeschlossen, bevor sie sich in ihrem Haus erstickten. 

Was ich an dieser Meldung interessant finde, sind die Reaktionen aus der 'community,' die sich verständlicherweise entsetzt darüber zeigen, dass für die beiden offenbar das Stigma der Armut zu hoch war, um bei ihren Nachbarn um Hilfe zu bitten. Bei einem Priester wird dieses Entsetzen – ebenfalls verständlich – im Modus einer Kritik der anonymisierenden Moderne formuliert:

„The Rev. Aaron Francis, associate pastor at First United Methodist Church, said the couple’s apparent 'utter hopelessness' might have been overcome in a more tight-knit community.
'We have become such a disassociated and anti-social society that we don’t even know our own neighbors,' he said.

Kein Mensch aber kommt auf die Idee, sich darüber zu empören, dass offensichtlich Armut – selbst für kranke Menschen – im reichsten Land der Erde so unmittelbar existenzbedrohend ist. 

Es ist ein starker topos der konservativen Wohlfahrtsstaatskritik, dass dieser eine bürokratische, rein materialistische Lösung für letztliche soziale Probleme darstellt – ja, dass er diese sogar noch verschärft, weil er traditionelle Bindungen, Ehen, Familien, etc. genauso zerstört wie den Arbeitsanreiz. Die wahre Lösung für Armut seien hingegen heile communities, heile Familien, und im Notfall karitative Wohlfahrt. 

Ich denke, die oben zitierte Geschichte macht deutlich, dass es gerade ein Vorteil des bürokratischen Sozialstaates ist, dass er arme Menschen nicht abhängig von ihrer community macht. Sie müssen nicht betteln, nicht sich unterordnen, sondern sie können genauso ihr Leben leben wie ein reicher Mensch auch. Der Sozialstaat demütigt nicht. Und deshalb muss man auch immer bedenken, dass der rechte Angriff auf den Sozialstaat nicht nur materialistisch motiviert ist, sondern durchaus ideologisch: Eben weil es ihnen nicht passt, dass auch arme Menschen ein privates und selbstständiges, also freies, Leben führen können. Und das weiß jeder Student am besten: Nur weil es Bafög gibt und kostenlose Universitäten ist man in Deutschland überhaupt als Student so frei – von seinen Eltern und ein bisschen auch vom Arbeitsmarkt, der einen noch früh genug einholt. Sozialstaat bedeutet Freiheit.

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