„Opportunity, Responsibility,
Community, and National Security.“
So
lauten die Schlagworte des Programmes der New Democrats von 1992. Im
vorherigen Beitrag habe ich den Begriff Community
etwas leichtfertig abgetan, auch weil es etwas kompliziert ist, zu
beschreiben, wofür er steht. Die Tatsache aber, dass er (genauso wie
der Begriff „families“ als Synonym für die 'normale
Bevölkerung') immer und immer wieder bemüht wird, macht aber klar,
dass er wichtig ist. Was sagt man also, wenn man 'community' sagt?
Als
erstes sind communities sehr kleine Gemeinschaften, wirklich eher
„Nachbarschaften“ als Städte. Will man also die communities
stärken, wie das Hillary Clinton verspricht, dann sucht man Lösungen
auf der Mikro- statt der Makroebene und gleichzeitig beschränkt man
Solidarität auf seine Umgebung, eben auf Menschen wie sich. Wie das
funktioniert, zeigt das Beispiel Detroit: Dort ist eine völlig
verelendete Stadt umgeben von enorm reichen Vororten – und weil
etwa das Schulsystem vor allem durch lokale Eigentumststeuern
finanziert werden, haben diese Vororte eine gute Infrastruktur,
während die Stadt völlig verfällt. Weil gute Schulen in reichen
Gegenden stehen, und Häuserpreise – oft das einzige (spekulative)
Vermögen der meisten Menschen – unter anderem auch von der
Qualität der Schulen abhängen, haben alle Bewohner einer reichen
community ökonomische Anreize die Isolierung zum Rest der Welt noch
zu verstärken – also im Grunde, ihren Reichtum für sich zu
behalten.
Communities
sind aber nicht nur geographisch, sondern auch geformt durch ethnische und
kulturelle Identität. Das ist ein sehr weites Feld, aber auch hier
lässt sich beobachten, dass diese Sichtweise dazu führen kann,
soziale Probleme als isolierte Folgen des Verhaltens und der
Verfasstheit bestimmter Bevölkerungsgruppen sich vorzustellen:
Selbst wenn man das in aufgeklärter Weise tut, also für die Armut
der Afro-Amerikaner eine Geschichte der Ausgrenzung, etc.
verantwortlich macht, kann sich der Gedanke aufdrängen, die Lösung
seien auch innerhalb der community zu suchen, anstatt in einer
Umwandlung der gesamten
Verhältnisse.
In
einer kürzlichen Zeitungsmeldung aus Ohio wird das Ganze
eindrucksvoll vorgeführt. Es ist eine grauenhafte Geschichte und
eine, die sich vermutlich gerade in Südeuropa auf ähnliche Weise
fast regelmäßig abspielt: Ein von chronischen Krankheiten geplagtes
Ehepaar hatte offenbar aus diesem Grund ihre Arbeit verloren und war
auf diese Weise langsam und unbemerkt immer mehr verarmt. Jetzt
hatten sie zwar neue Arbeit gefunden, aber nicht genug Geld, um die
Zwischenzeit zum ersten Gehalt zu überbrücken: Wasser und Heizung
waren abgestellt, ihre Wohung gekündigt, und auch die Arbeit würden
sie wohl weider verlieren, weil es ihnen an Geld fürs Benzin fehlte.
Auf gofundme.com findet sich eine verzweifelte Bitte um Hilfe, aber
auch das brachte keine Reaktion, so dass sie sich schließlich
entschlossen, Selbstmord zu begehen. Nur ihre Katzen hatten sie
fürsorglich ausgeschlossen, bevor sie sich in ihrem Haus erstickten.
Was
ich an dieser Meldung interessant finde, sind die Reaktionen aus der
'community,' die sich verständlicherweise entsetzt darüber zeigen,
dass für die beiden offenbar das Stigma der Armut zu hoch war, um
bei ihren Nachbarn um Hilfe zu bitten. Bei einem Priester wird dieses
Entsetzen – ebenfalls verständlich – im Modus einer Kritik der
anonymisierenden Moderne formuliert:
„The Rev. Aaron Francis, associate pastor at First United Methodist Church, said the couple’s apparent 'utter hopelessness' might have been overcome in a more tight-knit community.'We have become such a disassociated and anti-social society that we don’t even know our own neighbors,' he said.
Kein Mensch aber kommt auf
die Idee, sich darüber zu empören, dass offensichtlich Armut –
selbst für kranke Menschen – im reichsten Land der Erde so
unmittelbar existenzbedrohend ist.
Es ist ein starker topos
der konservativen Wohlfahrtsstaatskritik, dass dieser eine
bürokratische, rein materialistische Lösung für letztliche soziale
Probleme darstellt – ja, dass er diese sogar noch verschärft, weil
er traditionelle Bindungen, Ehen, Familien, etc. genauso zerstört
wie den Arbeitsanreiz. Die wahre Lösung für Armut seien hingegen
heile communities, heile Familien, und im Notfall karitative
Wohlfahrt.
Ich denke, die oben
zitierte Geschichte macht deutlich, dass es gerade ein Vorteil des
bürokratischen Sozialstaates ist, dass er arme Menschen nicht
abhängig von ihrer community macht. Sie müssen nicht betteln, nicht
sich unterordnen, sondern sie können genauso ihr Leben leben wie ein
reicher Mensch auch. Der Sozialstaat demütigt nicht. Und deshalb
muss man auch immer bedenken, dass der rechte Angriff auf den
Sozialstaat nicht nur materialistisch motiviert ist, sondern durchaus
ideologisch: Eben weil es ihnen nicht passt, dass auch arme Menschen
ein privates und selbstständiges, also freies, Leben führen können.
Und das weiß jeder Student am besten: Nur weil es Bafög gibt und
kostenlose Universitäten ist man in Deutschland überhaupt als
Student so frei – von seinen Eltern und ein bisschen auch vom
Arbeitsmarkt, der einen noch früh genug einholt. Sozialstaat
bedeutet Freiheit.
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