Communism

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Freitag, 4. Dezember 2015

Die Vereinigten Staaten von Hayek


Freiheitskämpfer in gelöster Stimmung

Sean Guillory veröffentlicht auf seinem Blog regelmäßig Gespräche, die er mit Russlandkennern führt. Meist sprechen da Amerikaner über Russland, was schon interessant genug ist, aber diese Woche führte er ein Gespräch mit Ilya Matveev von der Universität St. Petersburg, der als russischer Linker seine Sicht der Dinge darlegt: "Neoliberalism in Russia". 

An einer Stelle beschreibt Matveev die merkwürdige Kombination zwischen dem (konservativen) Nationalismus der zweiten Putin-Ära, welche den Patriotismus in den Vordergrund stellt, und einer neoliberalen Sozialstaats- und Wirtschaftspolitik, welche das einzelne Individuum in die Verantwortung nimmt und kollektive und staatliche Lösungen für soziale Bedürfnisse ablehnt und langsam abbaut:
What the state, what Putin needs from the Russian population is that you are an atomized citizen, you're at home, you sit in your flat, you watch TV, you hate Ukranian nazism, you hate the enemies of the Russian state, you let Putin solve all these geopolitical problems, but on the other hand you rely on yourself. In your well-being you rely on yourself, you rely on yourself in welfare, in education, and so on. This is the kind of patriotism they want from people.  
Das Paradox eines nationalistischen Neoliberalismus. Klingt, was die Auswirkungen auf die Gesellschaft angeht, sehr amerikanisch. 

Für das heutige Regierungssystem verwendet Matveev den Begriff des Patrimonialismus, angelehnt an Max Weber. Er versteht es also als ein authoritäres System der persönlichen Herrschaft, in dem der Staat selbst privatisiert worden ist. Ironischerweise ist dies kein Widerspruch zum Neoliberalismus, sondern ein Ergebnis neoliberaler Reformen: Grundansatz der marktwirtschaftlichen Reformen in den 90er Jahren war es nämlich immer gewesen, eine Klasse der Reformer und der Manager der Gesellschaft zu erschaffen, die "isoliert" von öffentlicher und demokratischer Einflussnahme waren - die also gegen alle Widerstände das notwendige "Reform"programm durchdrücken würden. Aus dieser politischen Struktur erwuchs dann organisch der heutige authoritäre Staat. 

(Offensichtliche Ähnlichkeiten zur politischen Struktur der Europäischen Union sind nicht zufällig. Siehe etwa: "EU: Die stille neoliberale Revolution geht weiter." Was die Mächtigen an vielen der internationalen Institutionen, die unser Wirtschaftssystem neu strukturieren sollen, schätzen, ist es ja gerade, dass sie "isoliert" von demokratischer Kontrolle sind und idealerweise gleich als rein neutrale Vollstrecker der wirtschafstwissenschaftlichen Rationalität erscheinen können. In dem Sinne ist der Anti-Demokrat Friedrich von Hayek der wahre Vordenker der Europäischen Union wie sie jetzt existiert. Aus einem anderen Artikel dieser schönen linken österreichischen Website, "Was tun mit dem Nationalstaat? Ein linkes Dilemma": 
Von den „Strukturanpassungsprogrammen“ des Internationalen Währungsfonds in den 1990ern und 2000ern über die Auflagen der Eurogruppe für Griechenland bis hin zum „Investorenschutz“ in Handelsabkommen wie TTIP scheint die Mehrheit dieser internationalen Institutionen darauf abzuzielen, widerspenstigen nationalen Regierungen eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik aufzuzwingen.
Diese Hoffnung hatte schon der neoliberale Theoretiker Friedrich Hayek 1939. Er argumentierte dass in einer (europäischen) Union basierend auf freiem Verkehr von Waren, Kapital und Arbeitskräften, eine Schwächung nationaler Politik, während es Parteien und Gewerkschaften auf der übernationalen Ebene nicht gelingen würde, ihren Handlungsspielraum für eine andere Politik wiederzugewinnen.
Schon Karl Polanyi bemerkte in seiner Studie des Marktradikalismus des 19. Jahrhunderts, "Die große Transformation", wie auffällig oft marktwirtschaftliche Reformen durch einen die Macht zentralisierenden, authoritären Staat durchgeführt werden mussten. Aber, wie dieser Text bei Jacobin überzeugend argumentiert: Es ist unmöglich, hinter die europäische Einigung zurück zu gehen. Der Kampf wird entweder über die Gestaltung der EU geführt, oder er ist gleich verloren: "Unless the radical left takes a more sober look at the reality of the eurozone it risks locking itself in an impasse, fighting lost battles and arguing against the run of history.")

Bei le Bohémien erschien von mir anlassälich des 60. Jahrestages der Verhaftung von Rosa Parks eine Würdigung ihrer Person: Der Mythos Rosa Parks. Anders als man sie oft in Erinnerung behält, war Rosa Parks nicht einfach nur irgendeine gewöhnliche Frau, die eines Tages beschloss, gegen das Unrecht aufzustehen: 
Zum Glück ist dieses erbauliche Bild von Rosa Parks falsch. Es ist Ergebnis des Versuches, eine radikale Aktivistin für eine harmlose, unpolitische feel-good story zu vereinnahmen und uns eine Art entpolitisierte Theorie des gesellschaftlichen Wandels zu verkaufen, die niemandem mehr gefährlich werden kann. So wird Rosa Parks zur Erfüllerin der heroischen amerikanischen Geschichte stilisiert, zur Nationalheldin, welche den langen, aber mittlerweile angeblich so gut wie abgeschlossenen, Marsch in Richtung Freiheit und Gleichheit mitvollendete.
Ähnlich wie schon bei Martin Luther King müssen dafür die eigentlich politischen Aspekte ihrer Persönlichkeit und ihres Lebens in Vergessenheit geraten. Es ist ein weiteres Kapitel in der Reinwaschung amerikanischer Geschichte, auf dass diese vollkommen von ihren radikalen Traditionen befreit werde.
Was also das politische Leben von Rosa Parks abseits ihres einen berühmten Momentes wirklich ausmachte, dafür bitte den Text lesen. (Und um herauszufinden, wie ich auch dieses Thema dazu nutzen konnte, Hillary Clinton zu haten...)

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