Im Zug nach Ungarn, 3. September
Der Notstand steht erst bevor, 15. September
Endstation Serbien?, 24. September
Drei Artikel sind von mir im Migazin im September erschienen, jeweils Momentaufnahmen der sich schnell entwickelnden, oft ungewissen Situation in Ungarn und auch in Serbien. Außerdem gibt es noch zwei Blogposts, hier und hier.
Die ungarische Krise dieses Sommers, das zumindest hat die Regierung erreicht, ist mittlerweile vorbei. Gelöst ist sie natürlich nicht, sie wurde bloß an andere Orte verlegt, nach Serbien, nach Kroatien, nach Österreich und nach Deutschland - das habe ich persönlich schon daran gemerkt, dass die Ausreise aus Ungarn problemlos möglich war, unser Zug über Salzburg wegen der neuen deutschen Grenzkontrollen aber gestrichen wurde.
Irgendwo zwischen Passau und Regensburg saßen wir dann in einem völlig überfüllten ICE mit einer Gruppe Syrer, Libanesen, und Iraker zusammen. Ich hatte in den letzten Wochen viele Flüchtlinge getroffen, aber diese machten mir einen starken Eindruck, auch weil man sehen konnte, wie groß die Unterschiede zwischen den Flüchtenden aus dem Mittleren Osten sind. Man sagt ja immer, dass man bald wieder in Deutschland am Gebiss die soziale Schicht wird ablesen können, und so war es auch hier: Die Libanesen [rückblickend: keine Ahnung ob wirklich Libanesen. Vielleicht auch Syrer aus Damskus o.ä., die später im Libanon lebten, o.ä.] begrüßten uns mit einem strahlenden Erste-Welt-Grinsen und stellte sich tatsächlich als ziemlich wohlhabend heraus. Da ihr englischer Wortschatz begrenzt war, zeigte mir der eine Fotos und Videos aus dem Libanon: Seine schöne Freundin, seine Familie, sein Haus. Und immer und immer wieder: er selbst wie er in enger Badehose seine gestählten Muskeln präsentierte, nur unterbrochen von einem Video, das zeigt, wie er sich mit einem Haufen sonnenbebrillter Schränke (seine Freunde), laut Techno hörend, beim Grillen betrinkt. Und Gras raucht. Und sich betrinkt. Das war ihm sehr wichtig, dass ich verstehe, wie besoffen sie da waren.
Vielleicht hat das Universum diese Begegnung arrangiert, damit ich eine subtile Lektion über arabische Männlichkeitsrituale lerne, oder darüber, dass junge Menschen alle nur das gleiche im Kopf haben, egal woher sie stammen und welcher Religion sie vorheucheln anzugehören, um ihre Großeltern zu beruhigen. Oder aber die beiden haben einfach nicht bemerkt, was für eine Art Mensch ich bin (ein langweiliger Nerd nämlich), wegen dem kulturellen Graben und so, und dachten, ich würde mich einfach mit ihnen freuen, darüber, was für krasse Typen sie sind und wie gerne sie Schischa rauchen. Tatsächlich interessierte mich eher das Video, das sie auf der Überfahrt nach Griechenland im engen Gummiboot gedreht hatten, oder die Fotos vom türkischen Strand, wo ein halbes Dutzend dieser Boote bereit standen, um im günstigen Moment bestiegen zu werden. Aber das hätten sie nicht verstanden - was für eine merkwürdige Art der europäischen Dekadenz ist es auch, sich für diese Elendsbilder mehr zu interessieren, als für den Ferrari, den sie in Wien gesehen hatten? Und vor dem sie posierten wie die Möchtegern-Playboys, die sie waren? Oder das Sextape, dass einem von den zweien den ganzen langen Weg über den Balkan begleitet hatte und dass er natürlich unbedingt mit mir teilen musste. Auch seine Freundin war sehr hübsch, zugegeben, aber auch hier hätte mich eher interessiert ob sie im Libanon geblieben ist, ob er vorhabe, sie nach Europa nachzuholen... und auch hier blieben sie mir eine Antwort schuldig, als könnten sie einfach nicht verstehen, dass sich jemand für dieses deprimierende Detail interessieren könnte.
Der Notstand steht erst bevor, 15. September
Endstation Serbien?, 24. September
Drei Artikel sind von mir im Migazin im September erschienen, jeweils Momentaufnahmen der sich schnell entwickelnden, oft ungewissen Situation in Ungarn und auch in Serbien. Außerdem gibt es noch zwei Blogposts, hier und hier.
Die ungarische Krise dieses Sommers, das zumindest hat die Regierung erreicht, ist mittlerweile vorbei. Gelöst ist sie natürlich nicht, sie wurde bloß an andere Orte verlegt, nach Serbien, nach Kroatien, nach Österreich und nach Deutschland - das habe ich persönlich schon daran gemerkt, dass die Ausreise aus Ungarn problemlos möglich war, unser Zug über Salzburg wegen der neuen deutschen Grenzkontrollen aber gestrichen wurde.
Irgendwo zwischen Passau und Regensburg saßen wir dann in einem völlig überfüllten ICE mit einer Gruppe Syrer, Libanesen, und Iraker zusammen. Ich hatte in den letzten Wochen viele Flüchtlinge getroffen, aber diese machten mir einen starken Eindruck, auch weil man sehen konnte, wie groß die Unterschiede zwischen den Flüchtenden aus dem Mittleren Osten sind. Man sagt ja immer, dass man bald wieder in Deutschland am Gebiss die soziale Schicht wird ablesen können, und so war es auch hier: Die Libanesen [rückblickend: keine Ahnung ob wirklich Libanesen. Vielleicht auch Syrer aus Damskus o.ä., die später im Libanon lebten, o.ä.] begrüßten uns mit einem strahlenden Erste-Welt-Grinsen und stellte sich tatsächlich als ziemlich wohlhabend heraus. Da ihr englischer Wortschatz begrenzt war, zeigte mir der eine Fotos und Videos aus dem Libanon: Seine schöne Freundin, seine Familie, sein Haus. Und immer und immer wieder: er selbst wie er in enger Badehose seine gestählten Muskeln präsentierte, nur unterbrochen von einem Video, das zeigt, wie er sich mit einem Haufen sonnenbebrillter Schränke (seine Freunde), laut Techno hörend, beim Grillen betrinkt. Und Gras raucht. Und sich betrinkt. Das war ihm sehr wichtig, dass ich verstehe, wie besoffen sie da waren.
Vielleicht hat das Universum diese Begegnung arrangiert, damit ich eine subtile Lektion über arabische Männlichkeitsrituale lerne, oder darüber, dass junge Menschen alle nur das gleiche im Kopf haben, egal woher sie stammen und welcher Religion sie vorheucheln anzugehören, um ihre Großeltern zu beruhigen. Oder aber die beiden haben einfach nicht bemerkt, was für eine Art Mensch ich bin (ein langweiliger Nerd nämlich), wegen dem kulturellen Graben und so, und dachten, ich würde mich einfach mit ihnen freuen, darüber, was für krasse Typen sie sind und wie gerne sie Schischa rauchen. Tatsächlich interessierte mich eher das Video, das sie auf der Überfahrt nach Griechenland im engen Gummiboot gedreht hatten, oder die Fotos vom türkischen Strand, wo ein halbes Dutzend dieser Boote bereit standen, um im günstigen Moment bestiegen zu werden. Aber das hätten sie nicht verstanden - was für eine merkwürdige Art der europäischen Dekadenz ist es auch, sich für diese Elendsbilder mehr zu interessieren, als für den Ferrari, den sie in Wien gesehen hatten? Und vor dem sie posierten wie die Möchtegern-Playboys, die sie waren? Oder das Sextape, dass einem von den zweien den ganzen langen Weg über den Balkan begleitet hatte und dass er natürlich unbedingt mit mir teilen musste. Auch seine Freundin war sehr hübsch, zugegeben, aber auch hier hätte mich eher interessiert ob sie im Libanon geblieben ist, ob er vorhabe, sie nach Europa nachzuholen... und auch hier blieben sie mir eine Antwort schuldig, als könnten sie einfach nicht verstehen, dass sich jemand für dieses deprimierende Detail interessieren könnte.
Aber wer weiß schon, was sie wirklich dachten. Das ist eine der Lektionen, die ich in den letzten Wochen gelernt habe: Wie schwierig es ist, sprachliche Barrieren zu durchdringen. Ob jetzt in der Transitzone von Keleti oder im Flüchtlingslager von Belgrad: Selten war es möglich, mit den Flüchtlingen mehr als ein paar Worte gebrochenes Englisch zu wechseln. So kann man zwar einige Fakten erfahren, aber es ist fast unmöglich, Personen wirklich einzuschätzen. Das gleiche gilt in geringerem Maß sogar für die Ungarn: Zwar sprachen vor allem viele der Flüchtlingsaktivisten gutes Englisch und auch viele Medien berichten auf Englisch aus Ungarn (vor allem diese Seite war unverzichtbar für Übersetzungen ungarischer Texte), aber zwangsläufig kriegt man dabei nur eine einseitige Sicht der Dinge. Was die ungarische "Straße" denkt, die ja schließlich Orbán oder die erstarkende extrem-rechte Jobbik gewählt hat, ist so sehr viel schwieriger in Erfahrung zu bringen. Ungarn ist sehr leicht zu dämonisieren, und ich stimme bei der Kritik an Ungarn auch gerne mit ein, aber es ist trotzdem wichtig, dass wir verstehen, wie es zu der politischen Situation dort kommen konnte. Dazu ist es aber nötig, sich unvoreingenommen auf die Situation einzulassen. Ich hatte den Eindruck, dass die Regierung Orbán in der Berichterstattung der letzen Wochen oft weniger rational und einfach "böser" erschien als sie es tatsächlich war, einfach weil wir und unsere Medien sie gerne so haben wollten. Tatsächlich war Orbán, das muss man ihm zu Gute halten, einer der Akteure, der seine Position am klarsten gemacht hatte und bis zum Ende mit großem Erfolg an ihr festhielt und dafür auch in Ungarn politisch großen Zuspruch erntete. Er sitzt jetzt fester im Sattel als je: Die linke Opposition kann sich nicht zu einer klaren Haltung in der Flüchtlingskrise durchringen, wirkt also irrelevanter und bedeutungsloser als je zuvor, und seiner rechten Konkurrenz Jobbik hat er fürs erste den Wind aus den Segeln genommen. Dass er dafür aus dem Ausland viel Kritik einstecken musste, interessiert in Ungarn keinen Menschen, sondern macht ihn, ähnlich wie westliche Kritik an Putin, bei der konservativen Mehrheit höchstens noch beliebter.
Bei Souciant schrieb ich außerdem einen zweiteiligen Artikel (eins und zwei) über den politischen und europäischen Kontext in dem die ungarische Regierung handelte - und den sie sehr erfolgreich manipulierte. Das folgende Fazit ist schon ein wenig von den Ereignissen überholt, aber in vielem trifft es noch zu: Die Quotenregelung, wie sie von Deutschland und der Europäischen Kommission vertreten wurde, ist zwar durchgesetzt worden, Ungarn ist es aber gelungen, sich von ihr auszunehmen. Orbán muss gerade ein glücklicher Mensch sein: Er hat uns erst dazu gezwungen, Tausende Flüchtlinge aus Ungarn zu akzeptieren, um dann schließlich doch die Grenzen zu schließen. Jetzt ist der Weg bereitet für eine repressive Lösung der Flüchtlingsfrage auch auf europäischer Ebene, nur dass dieses mal - anders als bisher - nicht die Peripheriestaaten die Verantwortung übernehmen müssen, sondern auch Nordeuropa. Die deutsche Unschuld - an Bahnhöfen applaudieren, aber nichts davon wissen wollen, was an der europäischen Außengrenze passiert - die ist jetzt vorbei, und fast kann man Orbán dazu gratulieren, dass er unsere Selbstgefälligkeit auf die Probe stellt. Wie auch immer das neue europäische Grenzregime aussehen wird - das ist jetzt unsere Verantwortung (und war es natürlich schon immer).
When they [the refugees trapped in Budapest] decided, that Friday, to start marching towards the border in order to force a solution, they were certainly not acting on a whim. Instead, they made a calculated, collective tactical decision – they put a pistol to their heads and dared the European community to pull the trigger. And they succeeded. Even the Hungarian government was forced to send buses to transport them to the border, while at the same time, I am certain, lobbying behind the scenes for the Germans to accept them. It is ironic, however, that in this, the brave refugees of Keleti could be said to have worked in collaboration with the Hungarian government, which had always treated them so badly. Until Thursday, as refugees were still arriving at Budapest, and no solution was in sight, Martin Schulz was still correct when he said that a quota-system would also bring relief to Hungary. But now that Germany and Austria had had no other option but to open their borders, Hungary’s negotiating position in the upcoming talks was strengthened, making it more and more unlikely that it will be won over to a new quota-system – or at least a type of quota system which would put some of the burden on itself.
Just read the declaration by the Austrian Chancellor Faymann that day, in which he announced – on Facebook of all places – that the marching refugees would be allowed to cross the border. The final phrases read:
“Apart from this we expect Hungary to fulfill its European obligations, including the obligation to fulfill the Dublin-agreement. At the same time, we expect Hungary to be willing to solve / manage the existing burdens on the basis of the plan for the fair distribution of refugees as well as the emergency-mechanism, which are being pursued by the European Commission, and to which we today make a contribution.”Faymann is desperately trying to spin his and Germany’s actions as a step towards the new quota-system of shared responsibility among all European countries that they are trying to put forward together with the European Commission in the coming weeks. I have great doubts, however, that the Hungarians saw it this way. As much as the Hungarian government is making angry noises at Germany and Austria for “making irresponsible promises,” they were very happy to see their country emptying out of refugees – while at the same time busily militarizing their border further.
In many ways, the current situation is similar to the Greek crisis, which has been, or seems to have been, resolved this summer. As with Greece, an untenable, dramatic crisis had first to be manufactured before a way forward could be found. Even the famous Varoufakis phrase “extend and pretend” describes perfectly the way in which strategically and opportunistically many still cling to the “European rules” of the moment, knowing full well that these rules are the problem and new ones will have to be created.
Once again, Europe is unable to overcome its divisions and find a functioning and lasting solution in the spirit of European and international solidarity. Instead, we let a bad situation get worse, and make the nationalist, selfish, and xenophobic solutions seem more rational by the day. Because that is, apparently, how we do things now in Europe. The victims of this are, of course, the refugees.
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