Communism

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Dienstag, 11. August 2015

Informationskrieger unter sich

Während meines Auslandssemesters in England habe ich manchmal Russia Today geguckt, weil es eben lief und weil ich es nicht kannte. Es war auch sehr unterhaltsam. Die Moderatorinnen waren wunderschön, es gab da diesen exaltierten, etwas verrückten Finanzexperten namens Max Keiser und ab und zu wurden tatsächlich lange Schlangen vor amerikanischen Suppenküchen gezeigt, oder Reportagen aus Zeltstädten unter Clevelander Autobahnzubringern. Da kann man nie genug von kriegen, vor allem wenn die Alternative in britischen reality shows besteht. (Auf die komme ich noch zurück...)

Der russische "Informationskrieg" ist gerade ein ziemliches Modethema, klar. In unserem unüberwindbaren Narzissmus interessiert uns dabei selten die unglaublich spannende Frage, wie die mediale und politische Landschaft in Russland selbst aussieht, was also gerade mit diesem Land und seiner Bevölkerung passiert, sondern eher das - meiner Meinung nach - ziemlich belanglose Phänomen des russischen "Informationskrieges" im und gegen den Westen: Angeworbene "Troll-Armeen", zum Beispiel, die den bis dahin so unglaublich niveauvollen Diskurs in Online-Kommentarspalten vergiften und gemeinsam mit einem recht billig gemachten Nachrichtensender den hybriden Krieg in die verwirrten Köpfe des westlichen Publikums tragen. Ich bin ja noch jung, ich erinnere mich daran nicht, aber offenbar gab es einmal eine Zeit, in der internationale Konflikte immer völlig unkontrovers, nüchtern und mit verlässlichen Informationen in der Öffentlichkeit diskutiert wurden - erst der russische Propagandakrieg hat anscheinend dieses Idyll zerstört.

Ich finde das uninteressant. Ich habe immer das Gefühl, dass da einige ältere Journalisten viel zu wichtig nehmen, was im Internet passiert und dazu noch die Bedeutung vollkommen überschätzen, welche die internationalen Medien für die russische Regierung besitzen. Was kostet RT? Was kosten ein paar Studenten in einem Bürogebäude am Petersburger Stadtrand, die ideologische Kommentare auf Englisch posten? Sieht so wirklich eine bedrohliche "Informationskriegs"-Strategie aus? 

Ich könnte mir zumindest vorstellen, dass Wladimir Putin von dem mittlerweile berühmten "House of Trolls" selbst erst aus der New York Times erfahren hat - und einfach nur belustigt den Kopf schüttelte, bevor er sich wieder wichtigeren Dingen zuwandte. 

Aber es ist eben - im Gegensatz zur Recherche in Russland oder der Ukraine selbst, wo die echte Propagandaschlacht geschlagen wird - eine leichte story und deshalb wird sie immer wieder aufgewärmt. Sie ist unterhaltsam und gut für das westliche Journalisten-Ego, vor allem aber hat sie den klaren Vorteil, dass es in ihr um uns geht. Und wir sind schließlich das interessanteste an Russland, oder?

Die story des russischen Informationskrieges, der an den Grundfesten unserer Ordnung nagt, ähnelt ein wenig der von Alexander Dugin. Dieser fast comichaft nach "dämonischer Russe" aussehende Philosoph, dessen neofaschistische Ideologie eines eurasischen Imperiums so schön und exotisierend die Machtpolitik Russlands erklären hilft, wird immer gerne zu einem Artikel verwurstet, besitzt aber in Russland selbst keinen echten Einfluss. Und auch hier in Deutschland performt er eher auf kleinen, burschenschaftlichen Bühnen. Unter Journalisten aber, die vielleicht selbst kein russisch sprechen und in Russland niemanden kennen, trotzdem jedoch einen Artikel produzieren wollen, der einen "faszinierenden Einblick in die Gedankenwelt des neuen Russlands" gewähren soll - da ist er sehr beliebt. Aber wer könnte so einem Denkerbart auch widerstehen?

Worauf ich hinauswill (und ich befürchte ein solches caveat ist bei diesem Thema notwendig): Kritik an der Propaganda der russischen Medien ist ein sehr wichtiges, auch sehr interessantes Thema. Es kann aber auch dazu missbraucht werden auf billige, exotisierende Weise Russland als Gegensatz zum wunderbaren, aufgeklärten Westen aufzubauen - also im schlimmsten Fall dämonisierend dem tödlichen Lagerdenken der aktuellen Situation in die Hände zu spielen. Und zu diesem Zweck wird sie auch - da sollte man sich keine Illusionen machen - von einigen eingesetzt. Man sollte also sehr gründlich und vor allem sehr ehrlich und auch selbstkritisch sein, wenn man sich dem Thema annimmt. 

Bei einem so sensiblen Thema kommt es eben schon auf Kleinigkeiten an, wenn man seine Glaubwürdigkeit behalten möchte. Zum Beispiel dieser Artikel von Michael Thumann in der ZEIT. Inhaltlich ein ziemlicher Standard des Genres, gar nicht mal so alarmistisch, dafür mit interessanten Zahlen darüber, wie sich die Einstellungen der russischen Bevölkerung zum Ausland in den letzten Jahren verändert haben. Gut, komisch vielleicht, dass der Propaganda-Action-Film aus dem ersten Absatz offenbar keinen Namen hat, man sich also nicht selbst mal einen Trailer ansehen kann. Und auch irgendwie schade, dass Thumann zwar offensichtlich beim russischen Staatsfernsehen in der Kantine zu Mittag gegessen hat, aber niemanden ihm ein Interview geben wollte. Nur an einem Punkt bringt Thumann ein Zitat aus einem Interview mit einem Vertreter des russischen Staatsfernsehens - dieses hat er allerdings nicht selbst geführt, sondern ein gewisser "TV-Reporter Peter Pomerantsev":
Ihre Sender sollen die "russische Sicht" in die Welt tragen. Was das sei, fragte der englische TV-Reporter Peter Pomerantsev, der früher bei Moskauer Fernsehkanälen arbeitete, den geschäftsführenden Redakteur von RT. "Es gibt immer einen russischen Standpunkt", antwortete der Redakteur. Und erklärte das anhand einer Banane. "Für den einen ist sie etwas zu essen. Für einen anderen ist sie eine Waffe. Für den Rassisten ist sie ein Instrument, um Schwarze zu ärgern." Alles sei möglich. Es gebe einfach keine objektiv eindeutige Sicht darauf, was eine Banane sei, sagte der RT-Mann. Und so wie die Banane krumm ist, biegen sich diese Sender die Wahrheit zurecht. Das ist die Essenz des "russischen Standpunkts".
Eine Quellenangabe für dieses Interview, welches - denkt man sich bei einem "TV-Reporter" - sicher irgendwann im Fernsehen lief, gibt es leider nicht. Dafür kommt Thumann an einer späteren Stelle noch einmal auf Pomerantsev zurück und erklärt, dass dieser als Journalist für das russische Staatsfernsehen angeworben wurde, um diesem zu helfen, "in den Westen vorzudringen." Hier das ganze Zitat:
Moskauer Sender haben Kohorten westlicher Journalisten eingestellt, um in den Westen vorzudringen. Peter Pomerantsev war nur einer von vielen.
Zuletzt hat Pomerantsev aber offenbar ein Interview mit dem geschäftsführenden Redakteur von RT geführt hat, welches Thumann ohne Quellenangabe dankbar zitiert.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde es etwas manipulativ, sich derart auf Pomerantsev zu berufen, aber so gar nicht zu erklären, um wen es sich da genau handelt. Das fängt schon an mit der Bezeichnung "TV-Reporter". Tatsächlich hat Pomerantsev etwa zehn Jahre lang beim russischen Fernsehen gearbeitet - soweit ich weiß aber vor allem als Produzent, der die bereits zu Anfang erwähnten britischen reality-TV-show-Formate auf den russischen Markt zuschneiderte. Auch Dokumentatarfilme hat er produziert - aber immer eben für ein russisches Publikum. Möglicherweise hat er auch tatsächlich als Journalist gearbeitet, dann würde die Bezeichnung zutreffen - in jedem Fall aber war er nicht Teil der gegen den Westen gerichteten Medienstrategie, sondern ganz einfach ein Fernsehproduzent, der, das hat er selbst so formuliert, ausnutzte, dass russische Fernsehmacher einen riesigen Respekt vor allem haben, was aus London kommt - besonders vor den reality shows. Einfach nur weil er Brite sei, habe er fast ohne Erfahrung beim russischen Fernsehen Karriere machen können. Seine echten Ambitionen lagen offenbar woanders, denn kaum hatte er 2010 genug von seinem Job, begann er seine zweite, weitaus erfolgreichere Karriere als Journalist, Schriftsteller und Analytiker des neuen Russlands.

Erst vor wenigen Monaten erschien dann - das hätte Thumann wenigstens erwähnen können - sein Buch "Nothing is True and Everything is Possible - The Surreal Heart of the New Russia." Aufbauend auf seinen eigenen Erfahrungen als cog in the russian media machine versucht sich Pomerantsev hier an einer politischen und auch literarischen Deutung der russischen Szenerie - einer zynischen, postmodernen Diktatur, in der das Leben selbst oft einer reality show gleicht und nach Jahren der gesellschaftlichen Umbrüche alle Wirklichkeit zur Inszenierung geworden ist. Es ist ein bisschen das Buch der Stunde und ich prophezeihe, dass spätestens wenn das Buch im September auch auf Deutsch erscheint, Pomerantsev auch bei uns berühmt werden wird. Im englischen Sprachraum ist er schon eine feste Größe und schreibt vor allem für high-brow-Zeitschriften wie das London Review of Books, die seinen gehobenen Stil - in etwa: intellektuelle Räuberpistole - sehr schätzen. Pomerantsev ist nicht nur kenntnisreich, sondern schafft es vor allem, seine Analyse in einer aufregenden story zu verpacken. Putins Russland ist etwas wahnsinniges, glitzerndes, aufregendes und dennoch abstoßendes und gefährliches - eine Welt also, über die man ein gutes, packendes Buch schreiben kann, was er ja wohl auch gemacht hat. Ich hatte bisher noch kein Geld für das Buch, aber verfolge seine Artikel schon seit längerem. Sehr cool ist zum Beispiel dieser hier über Surkov.

Zuletzt hat sich Pomerantsev - offenbar im Kontext der sich verschärfenden Ukrainekrise - vom Journalisten zum Aktivisten gewandelt und ruft immer deutlicher dazu auf, dass der russischen Desinformations- und Propaganda-Strategie entschiedener entgegengetreten werden müsse. Zu diesem Zweck sagte er vor einem Komitee des amerikanischen Kongresses aus und verfasste gemeinsam mit Michael Weiss für den amerikanischen Think Tank Institute of Modern Russia ein Exposé mit dem bedrohlichen, cineastischen Titel "The Menace of Unreality: How the Kremlin Weaponizes Information, Culture and Money".

Vor einigen Monaten wies Mark Ames darauf hin, dass Pomerantsev damit seine Glaubwürdigkeit als kritischer Intellektueller unmittelbar in den Dienst der neokonservativen Kriegspartei stellt und dass auch sein Buch - ob kalkuliert oder nicht - genau betrachtet die gleiche Einseitigkeit besitzt. Man muss den Artikel von Ames selbst lesen (unbedingt), aber sein stärkster Kritikpunkt besteht darin, dass Pomerantsev so tut, als sei das Thema der Medienmanipulation und der politischen Virtualität eine Erfindung Putins, etwas derart neues, innovatives und brand-gefährliches, das wir ihm unbedingt unsere eigenen Kräfte im Informationskrieg gebündelt entgegensetzen müssen. Dass aber die meisten Methoden dieser virtuellen Politik von Jelzin zuerst erfolgreich angewendet wurden und damals noch mit zufriedener Unterstützung aus den USA, verkompliziert das Problem ein wenig, ebenso wie die Tatsache, dass - wie soll man es anders sagen? - die Vorstellung absurd ist, dass Russland sich ganz grundsätzlich in der Intensität der Propaganda hervortue:
on the one hand, his book's thesis — Kremlin political technologists manipulating a virtual reality via television on a vast new scale — has a lot of truth to it, and is worth studying. But the other part of the thesis, that this is something completely new and invented by Putin, is so patently false it makes a mockery of his own reader. It isn't just that Kremlin reality-distortion and political technology began under Yeltsin with the full backing and advice of the West; it's that our own governments are guilty of this as well, as anyone who remembers the fake WMD scare to invade Iraq can tell you.
[...]
Pomerantsev doesn't provide this sort of broader context, it turns out, because that would get in the way of where he wants to lead us — to alarmist conclusions, and a familiar old neocon agenda, which he peddles hard and crude at the end of his book, where he portrays Putin’s Russia as a direct existential threat to everything westerners cherish.
Eines der deutlichsten Zeichen für den Grad in dem Pomerantsev - wissentlich oder nicht, kalkuliert oder nicht - mächtigen Interessenten dient, ist seine Verbindung zum Legatum Institute, welches ihm sehr effektiv in Washington eine Bühne bereitet, demnächst im Oktober zum Beispiel mit Pavel Khodorkovsky beim National Endowment for Democracy. Mark Ames stellt die Implikationen dieser Verbindungen sehr ausführlich heraus, aber eines ist klar: Der ehemalige Fernsehproduzent ist längst kein Journalist mehr, sondern schreibt mittlerweile eher Studien für den Hausgebrauch in Washington, und das Seite an Seite mit der Art von neokonservativen Aktivisten, die am liebsten gleich NATO-Truppen in die Ukraine (oder nach Syrien) verlegen würden. Und wer denen beim Legatum Institut das Gehalt bezahlt... dazu wirklich unbedingt den Artikel von Mark Ames selbst lesen.

Ob das jetzt heißt, dass Pomerantsev gar nicht mehr vertraut werden kann? Sicher nicht. Aber es macht misstrauisch. Eines muss man immer bedenken, wenn man ihm zuhört: dass er politisch Partei ergriffen hat. Er hat sich eine bestimmte Lesart des aktuellen Konfliktes zwischen dem Westen und Russland zu eigen gemacht und macht nun gemeinsam mit einer Gruppe von sehr einflussreichen amerikanischen Ideologen einer aggressiven militarisierten Außenpolitik Politik.

Nur eines ist er schon lange nicht mehr: ein "TV-Reporter".

(Ich glaube auch übrigens kaum, dass Thuman ihn dafür gehalten hat. Ebensowenig, dass Thumann seine Leser irgendwie bewusst manipulieren wollte, indem er den Hintergrund von Pomerantsev verschweigt. Meine eigene kleine Theorie ist vielmehr, dass Thumann einfach nicht gerne darauf hinweisen wollte, wie sehr sein Artikel inhaltlich auf Pomerantsevs Vorlage aufbaut und deshalb diesen TV-Reporter nur so beiläufig erwähnte. Nur eine Theorie.)