Communism

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Samstag, 28. November 2015

"Ronald Reagan was an Actor, not at all a Factor"


Bei Souciant erschien von mir im November eine Serie von Artikeln. Im ersten schrieb ich über das Potential eines bürgerlichen rechten Revivals im Zeichen der Flüchtlingskrise (Return of the Repressed), in den restlichen drei Texten geht es um die sich formierende Alternative Rechte, die man ja auch, in Abgrenzung zu Konservativen und Nazis gleichermaßen, oft Neue Rechte nennt. Ich mag die Bezeichnung "Alternativ": das herausstechendste an ihnen ist ja gerade, dass sie sich in rechter Opposition zu unserer Gesellschaft als Ganzes verstehen. An einigen Stellen formuliere ich vielleicht etwas dramatisch, aber die letzten drei Texte sind alle an einem Wochenende entstanden. Wie man so sagt - unter dem Eindruck der Ereignisse. Ich hoffe, dass ich noch einmal zu dem Thema auf Deutsch was schreiben kann, falls sich jemand findet, der das veröffentlicht.


Immer wenn ich mich viel mit Rechten beschäftige, ist gerade Musik ein gutes Mittel gegen deren bedrückende Welt. Deshalb Killer Mike. Oder Anderes:

Letzte Woche saß ich im Zug zwischen Eilenburg und Mockrehna, auf dem Weg zu einer Veranstaltung auf dem Land, bei der ein Haufen sächsischer Kartoffeln (die kartoffeligsten aller Kartoffeln dieser Welt) einmal gründlich ihrer Angst, ihrer Frustration und Wut Ausdruck verleihen wollten. Es war eine merkwürdige Reise - allein, um dorthin zu gelangen, musste ich nach einer langen Zugfahrt in die Provinz fast eine Stunde durch die pechschwarze Nacht laufen. Es begleitete mich dabei ein Interview mit einem Vertreter einer anderen politischen Bewegung aus einer anderen "strukturschwachen" Gegend in einem anderen reichen Land, mit einer anderen Bevölkerung, die sich von ihren Eliten verraten fühlt - ein Interview mit einem Sprecher der Cooperation Jackson nämlich. 

Mississippi ist der ärmste Bundesstaat der USA. In der Hauptstadt Jackson kämpft man mit den Folgen der dramatischen Deindustrialisierung: Arbeitslosigkeit, Armut, permanente Stagnation, aber auch Umweltschäden. Die Cooperation Jackson ist ein Versuch, alle diese Probleme auf progressive Weise zu lösen und eine Alternative zum herkömmlichen Modell zu finden, das darin besteht, mittels niedrigen Steuern, niedrigen Gehältern, laxen Umweltstandards und miesen Arbeitsbedingungen um Investoren zu betteln. 

Es war nur Zufall, dass ich genau in diesem Moment dieses Interview hörte, aber es wirkte wie eine Aufforderung, die Wutbürger doch bitte im richtigen Maßstab zu sehen. So eine Bewegung wie die Cooperation Jackson mag zwar wenig Aussichten haben, die tiefen sozialen Probleme in Mississippi zu lösen, aber sie zeigt deutlich, dass selbst Menschen in sehr schwierigen Umständen in der Lage sein können, sinnvolle und vernünftige Ideen zu entwickeln. Und dass es auf politische Traditionen und Ideen auch ankommt. Wer weiß, vielleicht sähe es in Jackson ohne das Erbe der Bürgerrechtsbewegung und der Black Panthers ebenso trostlos aus wie bei den ostdeuschen Querfrontlern und Neo-Nationalisten. 

Über schlechte politische Ideen ist in der Zeit ein Artikel erschienen: eine Rezension des neuen Buches von Phillip Ruch nämlich. Ich habe Ruchs Buch (dem Ruch sein Buch) nicht gelesen, aber vieles, was Wolfgang Ullrich in seiner Rezension beschreibt, bestätigt das, was ich schon vor einigen Wochen über die Weltsicht des Zentrums für Politische Schönheit geschrieben habe. Das einzige was in der Rezension fehlt, und wo ich mich frage, ob es wohl auch in Ruchs Buch keine Rolle spielt, ist die Bezugnahme auf amerikanische Neokonservative und Fukuyama. Vielleicht dachte Ullrich sich aber auch einfach, er könne bei seinen Lesern eher ein schauriges Gefühl erzeugen, wenn er gleich die alten schlimmen deutschen 'Traditionslinien' auspackt (Romantik, Heidegger, Jünger, Schmitt, etc.), anstatt mit Fukuyama zu kommen. Ich persönlich finde die Nähe zu den Neokonservativen noch viel verstörender, denn, wie ich auch hier deutlich machte, ergibt sich daraus eine Begeisterung für den liberalen Interventionismus, der das ganze Projekt Zentrum für Politische Schönheit viel mehr in Frage stellt als es die verquast-altmodische Weltsicht von Ruch jemals tun könnte. 

Ich habe auch einen Artikel für das Migazin geschrieben, über den amerikanischen Wahlkampf und die schäbige Debatte um syrische Flüchtlinge, die dort gerade stattfindet. Der entscheidende Abschnitt: 
Seit ihrer Gründung schwanken die USA zwischen diesen Polen, einerseits Ort der Freiheit und Hoffnung für Arme und Verfolgte aus der ganzen Welt zu sein – aber eben auch Träger einer bis in die Geburtsstunde der Republik zurückreichenden Tradition des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit. Und die Partei, die sich heute am stärksten dieser nativistischen Tradition bedient, ist die Republikanische, Refugium des reaktionären Teils der weißen Mittelschicht.

Für die Republikaner gibt es da nur ein Problem: Auch ihre Strategen haben mittlerweile begriffen, dass eine Partei, die sich allein auf die schrumpfende weiße Mehrheit stützt, aber alle Minderheiten verprellt, auf Dauer keine Wahlen mehr gewinnen wird. Hinzu kommt, und dieser Faktor ist kaum zu überschätzen, dass ganze Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft und verarbeitende Industrien von billigen Arbeitern aus Lateinamerika abhängig sind. Viele der großindustriellen Spender, die den Kandidaten die Wahlkämpfe finanzieren, lehnen deshalb eine einwanderungsfeindliche Politik strikt ab – allen voran die mächtigen libertären Brüder Charles und David Koch, die für den laufenden Wahlkampf eine Spenderkoalition aufgebaut haben, die über ein Budget von fast 900 Millionen Dollar verfügt. Auch die Großspender aus Sillicon-Valley, die in diesem Wahlkampf zum ersten mal ihre ganze (Finanz-)macht zeigen werden, sind fast durchgehend für mehr Einwanderung – auch sie sind auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen.

Für das republikanische Parteiestablishment galt deshalb lange Jeb Bush als idealer Kandidat: Seine mexikanischstämmige Frau milderte etwas sein Image, Teil des uralten weißen neuenglischen Geldadels zu sein. Auch hatte er, als Gouverneur von Florida, bereits unter Beweis gestellt, dass er weiß, wie man die Stimmen von Latinos kriegt. Gleichzeitig aber ist er loyal gegenüber industriellen Interessen, blieb also beim Thema Einwanderung immer „moderat“. Gerade diese Zurückhaltung bei der Hetze gegen Einwanderer kommt bei der Parteibasis allerdings gar nicht gut an und seine Kandidatur gilt mittlerweile als so gut wie gescheitert. Die Parteibosse mögen ihn zwar schätzen, die Parteibasis tut es nicht.

Der einzige, den diese Dilemmata nicht hemmten, war Donald Trump. Als Milliardär ist er von Großspendern völlig unabhängig und auch die Zukunft der republikanischen Partei scheint ihm ziemlich egal zu sein. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, ohne Rücksicht auf irgendwen, kann er also der Basis das geben, wonach sie giert: Frauenfeindlichkeit, Ausländerfeindlichkeit – aber auch harte Kritik am republikanischen Parteiestablishment, das von viele konservativen Wählern völlig zurecht (wenn auch auf falsche Weise) als eine Ansammlung prinzipienloser, korrupter sell outs empfunden wird, die vollkommen in der Tasche von big business stecken. Kein Politiker pöbelt und beleidigt so gerne wie Trump, aber seine Sprüche richten sich eben nicht nur gegen die oft als übermäßig liberal empfundenen Medien, er spricht auch mit Bezug auf seine Parteigenossen schonungslos das aus, was alle denken: Jeder Präsidentschaftskandidat sei eigentlich schon vor der Wahl gekauft worden – außer ihm natürlich. Dafür lieben ihn seine Fans. Und auch bei der Hetze gegen mexikanische Einwanderer, die er als „Vergewaltiger“ und „Verbrecher“ diffamierte, musste Trump auf niemandes Gefühle Rücksicht nehmen.

Der Fall der syrischen Flüchtlinge bietet nun aber auch dem Rest der Partei eine Gelegenheit, die ausländerfeindliche Stimmung ihrer Basis zu bedienen, ohne ihren Geldgebern oder der wichtigen Wählergruppe der Hispanics auf die Füße zu treten.
Ich muss aber sagen, dass ich das ganze Phänomen Donald Trump nicht richtig ernst nehmen kann. Er wird niemals Präsident sein, da bin ich mir sicher - aber nicht, weil er zu rechts wäre, da mache ich mir keine Illusionen, sondern weil er nicht mit den traditionellen Machtzentren der Rechten kooperieren will. Das einzige, was er bisher wirklich erreicht hat, ist dann auch, der republikanischen Partei zu schaden. Ein Kandidat nach dem anderen, der sich als rechtspopulistische Alternative verkauft hätte (Ron Paul, Scott Walker, Ted Cruz, zuletzt Ben Carson) wurde von Donald Trump aus dem Rennen gestochen. Amerikanische Wahlkämpfe sind vor allem ein Kampf um Aufmerksamkeit, und da kann es mit Donald Trump niemand aufnehmen.  

Es war immer schon, spätestens seit Nixon '68, die zynische Strategie der Republikaner, für ihre genuin volksfeindliche Politik Mehrheiten zu beschaffen, in dem sie die hässlichen politischen Emotionen der reaktionären Mittelschicht bedienen: den Rassismus, den Nationalismus, den Anti-Kommunismus, den christlichen Fundamentalismus, den Anti-Feminismus, die Kriegsbegeisterung, die Verachtung für die Armen. Es gab in den letzten 50 Jahren keinen Republikaner und nur wenige Demokraten (unter denen sich Hillary Clinton nicht befindet), der da nicht mitgespielt hätte - wenn auch oft, wie gesagt, auf zynisch-kalkulierende Weise. George Bush etwa mag zwar persönlich tatsächlich kein Rassist oder Islamhasser gewesen sein (man lese nur diese wunderbare Rede, die er kurz nach 9/11 vor einer muslimischen Gemeinde hielt), als es aber darum ging, in der Bevölkerung Unterstützung im War on Terror zu finden, bediente sich seine Regierung selbstverständlich islamfeindlicher Stimmungen. Usw, usf, die Liste ließe sich ewig fortsetzen. 

Worauf ich hinauswill: Mainstreamkonservative sind nicht unschuldig. Sie haben immer schon bewusst niederste Instinkte bedient, um für ihre elitäre Politik Unterstützung zu finden. Dies hat über Jahrzehnte derart gut funktioniert, dass sie dazu gerne in Kauf nahmen, zur Entstehung einer sich immer weiter von der Wirklichkeit entfernenden, immer gemeineren, aggressiveren und paranoideren chauvinistischen Subkultur beizutragen. Solange die Verwalter dieser Subkultur in den rechten Medien nicht vergaßen, wessen Lied sie letztlich immer treu zu singen hatten (und solange es nicht allzu viele Tote gab) war alles gut.

In Donald Trump haben diese Menschen schlicht jemanden gefunden, der ihr dreckiges Spiel besser, weil hemmungsloser, spielt, und der es sichtlich genießt, dass er sich nicht von ihnen kontrollieren lassen muss. Seinen Fans geht es überhaupt nicht darum, eine bessere Regierung zu kriegen, oder an ihren eigenen Lebensumständen irgendetwas positiv zu ändern. Es geht ihnen einfach darum, ihre abstoßenden, trotzigen Gefühle ausgiebig auszuleben und genießen zu dürfen - und das ermöglicht ihnen Donald Trump. Eine politische Kraft aber sind sie nicht und werden sie nicht sein. Sie sind einfach das logische Resultat einer sehr erfolgreichen Strategie der reaktionären republikanischen Partei - einer Strategie, könnte man anmerken, die sich nach Jahrzehnten endlich totgelaufen zu haben scheint. 

Für die Republikaner, das zeigt Trumps Erfolg deutlich, gibt es keinen Ausweg. Sie werden es nie wieder schaffen, eine moderate Partei zu werden. Und das, das ist das schönste an Donald Trump, schadet auch Hillary Clinton, die sich nunehr weniger leicht als "notwendiges Übel" andienen kann, als einzig sichere Möglichkeit, einen Republikaner im weißen Haus zu verhindern. 

Sollte es nicht bald einen ernst zu nehmenden republikanischen Kandidaten geben, dann gibt es eine echte Chance auf einen Politikwechsel im nächsten Jahr.

Dienstag, 24. November 2015

Der Crash ist die Lösung (denn alles Leben ist Kampf)

Lehnert: Das ist aber auch diese Art von Gleichschaltung... Die Wege sind doch so gleichgeworden. Man macht die Schule, alle gleiche Laufbahn, man macht einen Verwaltungsjob, dann ist es klar, daß sich die Gesichter nicht ausdifferenzieren können. Das ist sozusagen die reine Erbmasse, die noch durchkommt. Nichts Erlebtes.

Kubitschek: Das berührt ja, weg vom Ideellen, die materiegebundene Grundlage des Konservatismus, und überhaupt der Lebensführung, und das ist ja das, was wir in der Sezession hoch und runter geleiert haben in den letzten zwei Jahren. Die Wirklichkeit ist nicht mehr so gestrickt für den Einzelnen, daß man aufgrund der Lebensnot schauen muß, ob man überhaupt durchkommt. Also daß man verflucht aufpassen muß, daß man die Weichen nicht falsch stellt. Heute kann alles abgefedert werden. Jeder Schicksalsschlag, jede falsche Entscheidung im Leben kann abgefedert werden dadurch, daß man unendliche Mengen Kompensationsmaterie nachkippen kann - zum Beispiel, um eine völlig verranzte Erziehung zu kompensieren. Das sieht man hier an den Schulen überall. Man erzieht die Leute nicht mehr, sondern man kompensiert, wenn sie verzogen rumstehen und noch nicht mal eine simple Lehre absolvieren können. Die werden mitgeschleppt auf Teufel komm raus, die hugnern und frieren nicht, die spüren von klein auf: Es geht immer ziemlich komfortabel weiter. Es wird immer alles kompensiert. Da hat dann der konservative Begriff vom Leben, unser Begriff vom Leben, überhaupt keine Chance mehr. Überhaupt in die Tiefe vorstoßen zu können ist ja nurmehr ein frommer Wunsch. Die Aushebelung des Schicksals, die Aushebelung der falschen Entscheidung hat das Konservative an sich zerstört. Also die Hierarchie, die Würdigung der besseren Leistung, die Würdigung der besseren Erziehung, die Würdigung der Anstrengungsbereitschaft, die Würdigung dessen, der Schmerz aushalten, der sich zusammenreißen kann, das ist ja alles passé. Sich nicht zu verkrümeln, wenn's drauf ankommt - das spielt keine Rolle mehr. All das, was ein Konservativer unterschreiben kann als notwendiges Sortierungskriterium innerhalb einer Gesellschaft - wenn das alles ausgehebelt ist, dann haben wir, mit unserer Weltanschauung, überhaupt keine Chance mehr. Das Schlimmste, was uns geschehen kann, ist das energetische perpetuum mobile, also daß es mit den materiellen Kompensationsmöglichkeiten immer weiter geht. 

[...]

Kositza: Das ist aber doch das, was Erik am Anfang sagte. Seit dreißig Jahren heißt's immer wieder, der große Knall kommt, bald, jetzt, demnächst... Der kommt aber nicht. 

Kubitschek: Wir haben vor 20 Jahren nicht geglaubt, daß es so bleiben kann, wir haben's vor zehn Jahren nicht geglaubt, daß es so bleiben kann, aber der Mensch ...
(Aus:"Tristesse Droite - Die Abende von Schnellroda." Antaios Verlag, 2015.)

"Der Crash ist die Lösung" ist der geniale Titel eines Buches der zwei Ökonomen Matthias Weik und Marc Friedrich, das vor einem Jahr erschien und in den Nachwehen der Finanzkrise und der Eskalation der europäischen Schuldenkrise einen ziemlichen Erfolg hatte. Mit der Vorraussage, der echte finanzielle Kollaps stehe noch bevor, traf es einen Nerv. Mit der grundlegenden Kritik an wachsenden Staatsausgaben und -schulden sowie den großangelegten "Rettungsprogrammen" haben die Autoren darüber hinaus die staatsfeindlichen Vorstellungen einiger echter Rechtslibertärer ebenso bedient wie das Gefühl des vermutlich größeren Teils ihrer Leserschaft, Opfer einer außer Kontrolle geratenen staatskapitalistischen und sozialstaatlichen Struktur geworden zu sein. Der Rat der Autoren: Bereitet euch vor! Flüchtet in Sachwerte! Unserer Wohlstand, unsere ganze Wirtschaft ist auf Sand gebaut, ist eigentlich schon gar nicht mehr real - alles, was uns heute umgibt, könnte sich schon morgen als eine gefährliche Täuschung erweisen. Aber der Crash wird auch sein Gutes haben: Er wird es uns ermöglichen, zu einer besseren, gesünderen, echteren, weniger abgehobeneren, konkreteren Form des Wirtschaftens zurückzukehren. Und wer jetzt schon seinem eigenen Verstand vertraut, sich nicht von den Durchhalteparolen der Systemeliten einlullen lässt, sondern sich vorbereitet, der wird sowieso zu den Gewinnern gehören. In der Zukunft werden das Maßhalten, das Sparen, der Fleiß, eben die - nicht nur im materiellen Sinne - echten Werte wieder zu ihrem Recht kommen. 

Ein anderes Buch der beiden Autoren heißt: "Der größte Raubzug der Geschichte: Warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden." Wer sich als fleißiges Mitglied der Mittelschicht (auch durch immer steigende Abgaben und Steuern) ausgepresst und übergangen fühlt, der kann auf den Zusammenbruch hoffen. Dann werden wieder, wie Götz Kubitschek es so eindrucksvoll sagte, "die Hierarchie, die Würdigung der besseren Leistung" als "notwendiges Sortierungskriterium innerhalb einer Gesellschaft" zu ihrem Recht kommen.

Zugegeben, genauso steht es nicht im Buch, but you get my point.

Es ist immer sehr erhellend die deutsche Rechte mit der amerikanischen zu vergleichen, u.a. um allzu simple Vergleiche mit dem Faschismus auszuschließen, die sich ja vielleicht manchmal zu leicht einstellen. Was zum Beispiel haben AfD und Tea Party gemeinsam - und was nicht? Was hat es zu bedeuten, dass es in den USA eine eigene Form der Reichsbürger gibt, die  Sovereign Citizens? Und was ist dann das deutsche äquivalent zu Preppern? Was ist die Verbindung zwischen (marktradikalem) Liberalismus und kulturell und sozial konservativen Einstellungen oder dem christlichen Fundamentalismus? Gibt es da einen echten Widerspruch oder vielmehr eine wirkmächtige Symbiose? Und was hat all das mit der typisch rechten Sehnsucht nach Krieg und offenem Kampf zu tun? Warum eigentlich war so vielen Konservativen nach dem 11. September die Freude darüber anzumerken, dass die Zeit des "ironischen", belanglosen [weibischen] Friedens vorbei sei? Warum ist Rechten der Frieden so unangenehm und was finden sie an Wohlstand ohne Anstrengung (für die unteren Schichten) so gefährlich? Und was ist diese Besessenheit vom Gold?

Ich könnte da ein ganzes Buch drüber schreiben.

(Lasse es aber besser für heute. Vielleicht hat es ja eh Fight Club schon am besten erklärt. Oder Corey Robin.)

Mittwoch, 18. November 2015

Im Herbst 2012 liest sich die Geschichte der Familie Zarnajew wie ein Drehbuch der Coen Brüder. Der Vater, einst Boxer, ist ein Wrack. Die Mutter eine Diebin. Die konservative Tochter, Bella, wird beim Drogendealen erwischt, die andere, Ailina, als Komplizin von Geldfälschern. Der Älteste, das «Meisterwerk», ist ein arbeitsloser Hausmann.
Aus der empfehlenswerten Reportage von Jan Wiechmann über den familiären Hintergrund der beiden Brüder Zarnajew, die vor zwei Jahren den Anschlag auf den Marathon in Boston verübten. Liest sich sehr spannend und böte tatsächlich Stoff für einen Film. Man sieht es fast vor sich: Tamerlan, wie er mit Krokodilslederschuhen und Seidenhemd vor einigen kaukasischen Rentnern glücklich am Keybord steht und Volkslieder singt. Gleichzeitig ist es eine interessante Beschreibung eines "Radikalisierungsprozesses" mit allem, was das so beinhaltet. Ich vermute, das wird in Europa auch nicht sehr anders ablaufen, obwohl ja das besondere an den Zarnajews war, dass sie trotz aller Versuche (sie sind dafür extra nach Tschetschenien gereist) keinen Anschluss an islamistische Gruppen, geschweige denn an radikale Jihadis, finden konnten. Als typische junge Amerikaner beschränkte sich dementsprechend selbst ihre islamistische Bildung auf das völlig bekiffte Anschauen von verschwörungstheoretischen YouTube-Videos. 

Eine Perspektive aus der ersten Person bietet dieser ältere Artikel von Yasha Levine, einem Journalisten, der - selbst nur wenig älter als Tamerlan Zarnajew - ebenfalls als Flüchtling aus einer ehemaligen Sowjetrepublik nach Amerika gekommen ist: 
Growing up in San Francisco, I didn’t know any Chechens (apparently there are only 200 in the entire United States) but I did know plenty of people from other former Soviet Republics: Kyrgyzstan, Tajikistan, Azerbaijan, Ukraine, Armenia and mainland Russia.

And yes, from what I saw and experienced first-hand, background had a lot to do with how well they assimilated into American society. Kids who came from bigger cities, from well-educated and stable families did pretty well in the U.S., kids from fucked up families did worse, and kids from fucked up families in fucked up places did worst of all. The more fucked up the place they came from, the more trouble the kids had adjusting to life in neat, orderly America. Especially a place as stuck up, comfortably-yuppie as San Francisco in the early stages of the dot-com boom.
[...]
It’s pretty obvious, if you grew up with the people I knew when I was young, that a brutalized culture like the one my Armenian friends had experienced produces brutalized people. It’s a silly romantic myth that oppression creates noble victims. Oppression creates monsters, and the brutality those Armenian guys went through made them cruel and callous.
I’m not arguing that every Chechen or Muslim who immigrates to the U.S. to escape a life of brutality and oppression is a potential terrorist. What I am arguing is that people are affected by their experiences, and driven by them.

Mittwoch, 11. November 2015

V. for Valletta

Seit heute beraten in Valletta die Vertreter der EU mit ihren Partnern aus Nord- und Ostafrika über ihre neue, vertiefte Zusammenarbeit angesichts der wachsenden Migrationsbewegungen. Was seit über einem Jahr in gemeinsamen Gesprächen, im Khartoum-Prozess etwa, aber auch in permanenten Gesprächen über Entwicklungs- und Migrationspolitik vorbereitet wurde, soll in den nächsten Tagen in Valetta in einer neuen gemeinsamen Politik der EU und Nordafrika festgelegt werden. Die EU will nicht nur den Nordafrikanischen Staaten helfen, die Migration besser zu kontrollieren und menschenwürdiger zu gestalten, sondern auch, da ist sie ganz offen, Mitarbeit dabei erkaufen, doch auch die Zahlen derer zu begrenzen, die den ganzen weiten Weg nach Italien schaffen. Die Festung Europa soll nicht erst in den internationalen Gewässern vor Lybien beginnen, sie soll mit den bald durch EU-Geld unterstützten Polizeikräften Ägyptens, des Sudans, und vieler anderer Staaten, die ihre Bevölkerung mit Gewalt unterdrücken, auch schon in der Peripherie seine Grenzposten haben. Auf welche fatale Weise da Prinzipien einer aufgeklärten Entwicklungspolitik unter die Räder geraten, habe ich vor fast zwei Wochen am Beispiel Eritrea ausgeführt - zu lesen hier im Migazin. 

(Man könnte übrigens anmerken, dass die EU außer der normalen Entwicklungshilfe, über die ja auch gerade beschlossen wird, gerade mal kümmerliche 1,8 Milliarden für die Autokraten Nordafrikas als Extra eingeplant hat. Erdogan hat viel mehr gekriegt.)

Weil der Name Valletta mich an den ersten Roman Thomas Pynchons erinnerte, mir aber nicht gleich einfiel, worin genau die Verbindung besteht, gab ich es einfach in google ein. Dabei begegnete mir das folgende Zitat aus Pynchon's Roman "V.", welches entfremdet, aber erstaunlich stimmig, die Verwirrung der aktuellen europäischen Flüchtlingskrise beschreibt, in der ja auch die widersprüchlichsten Realitäten aufeinander prallen, gesetzliche und politische Strukturen zu wanken beginnen, und ehemals verlässsliche Wirklichkeiten über Nacht sich als aufgehoben erweisen. Wäre ich Syrer in Deutschland, ich könnte diese Ungewissheit nicht ertragen.
“He had decided long ago that no Situation had any objective reality: it only existed in the minds of those who happened to be in on it at any specific moment. Since these several minds tended to form a sum total or complex more mongrel than homogeneous, The Situation must necessarily appear to a single observer much like a diagram in four dimensions to an eye conditioned to seeing its world in only three.”
Außerdem interessant und bewegend: The tattoos Eritreans get before they leave for Europe.

Bei Souciant erschien ein Artikel von mir über den Rechtsruck, den wir gerade in Deutschland erleben müssen, der sich aber, meiner Ansicht nach, schon lange Zeit untergründig ankündigte: "Return of the Repressed." In einer Serie von Artikeln, von denen der erste gerade erschienen ist, versuche ich dann direkt diese erstarkende alternative Rechte zu beschreiben, die da gerade eine authoritäre Politik neu erfindet. In "The New Nazism" stelle ich die unangenehme Frage, was es eigentlich heißt, wenn sich all diese Menschen, die wir gerne und sicher meist auch zu Recht als "Nazis" bezeichnen, sich nicht als solche selbst verstehen - sondern oft sogar behaupten, sie seien antifaschistische Freiheitskämpfer.

Montag, 9. November 2015

"WIPE 'UM!"


Nach modernen Klassikern wie "The Biggest Sip", hier eine Vorschau auf das neueste Meisterwerk der wint corporation. Cool und gut, wenn ihr mich fragt.

Und für etwas ganz anderes: Ich habe mich in den letzten Tagen durch eine alte Fernsehserie aus den 60ern gehört: Günter Gaus setzt sich mit einer politischen Person für eine Stunde in ein verrauchtes Studio und führt ein Gespräch mit ihr - ohne irgendwelche Ablenkung, ohne Unterhaltung, ohne bullshit vor allem. Mir gefällt auch die unsentimentale Art, in der die meisten Gesprächspartner miteinander umgehen: Weder, und das merkt man besonders bei den Gesprächen mit Politikern wie Wehner, Brandt, aber auch Rudi Dutscheke, versucht Gaus um jeden Preis konfrontativ zu wirken - aber genau so wenig geht es ihm jemals darum, irgendeine emotionale Performance zu provozieren, die es dem Zuschauer erlauben würde, "mitzufühlen". Er behandelt seine Gegenüber wie erwachsene Menschen, welche die entsprechende Distanz auch zu sich selbst haben, und vor allem: Deren Gedanken es wert sind, gründlich gehört zu werden. Am besten ist das Interview mit Hannah Arendt:



Ich liebe diese altmodische Art zu sprechen, so überlegt und gründlich, als sei es wichtig, die Worte richtig zu setzen, als käme es auf sie an. DAS JIBS JA HEUTE GAR NICH MEHR!